Unser Spiel
eine Nachricht hinterlassen wollen, warten Sie auf den kurzen Signalton und fangen unmittelbar danach an zu sprechen. Sind Sie bereit …?«
Nach Emma das Ganze noch einmal, von Larry auf russisch vorgetragen. Und wenn Larry Russisch sprach, schlüpfte er in eine andere Haut, denn die russische Sprache war seine Zuflucht vor der Tyrannei gewesen. Dort verkroch er sich vor seinem Vater, der ihm Vorträge hielt, und vor der Schule, die ihn abzurichten versuchte, und vor Vertrauensschülern, die dem allem mit Schlägen nachhalfen.
Nach der russischen Durchsage sprach er noch einmal, in einer Sprache, die ich im Kaukasus ansiedelte – auf gut Glück, denn ich verstand keine Silbe. Was mir aber nicht entging, war der dramatische Tonfall, der verschwörerische Rhythmus, in den er eine so förmliche kleine Mitteilung zu kleiden wußte. Ich hörte ihn mir noch einmal auf russisch an. Dann wieder in der unbekannten Sprache. So geladen, so heldenhaft, so schwungvoll. Woran erinnerte er mich? An das Buch neben seinem Bett in der Cambridge Street? Die Memoiren seines Helden Aubrey Herbert, der für die Rettung Albaniens gekämpft hatte?
Und dann hatte ich’s – das Canning!
Wir sind wieder in Oxford, es ist Abend, draußen fällt Schnee. Wir sitzen zu zwölft bei einem im Trinity auf dem Zimmer und trinken Glühwein, und heute ist Larry an der Reihe, uns einen Aufsatz über eins der hochgestochenen Themen vorzulesen, die seine Phantasie beschäftigen. Das Canning ist eine der vielen blasierten Oxforder Diskussionsgruppen, nur daß es ein bißchen älter ist als die meisten anderen und über anständiges Silberzeug verfügt. Larry hat sich für Byron entschieden und gedenkt uns zu schockieren. Und das gelingt ihm auch, indem er darlegt, Byrons große Liebe seien nicht Frauen, sondern Männer gewesen, und näher auf die Verehrung eingeht, die der Dichter zu seiner Cambridger Zeit einem Chorknaben und in Griechenland seinem Pagen Loukas entgegengebracht habe.
Was mir aber, als ich mir den Abend ins Gedächtnis zurückrufe, besonders deutlich im Ohr klingt, ist nicht Larrys vorhersehbares Behagen an Byrons sexuellen Heldentaten, sondern seine Begeisterung für Byron, den Retter der Griechen, der sein eigenes Geld spendet , um die griechische Flotte zum Kampf zu rüsten, der Soldaten anwirbt und bezahlt , um sich selbst an die Spitze des Angriffs auf die Türken bei Lepanto zu stellen.
Und ich sehe noch vor mir, wie Larry, den Pokal mit Glühwein an die Brust gedrückt, vor dem Gasofen sitzt und ganz in der Rolle Byrons aufgeht; die Stirnlocke, die geröteten Wangen, die von Wein und Rede fiebrig strahlenden Augen. Hatte Byron den antiken Schmuck seiner Geliebten verkauft, um den hoffnungslosen Fall mit Geld zu unterstützen? Hatte er seine Gratifikation in diese Sache investiert?
Und ich erinnere mich, wie Larry uns während einer seiner Predigten auf Honeybrook erzählt, Byron sei ein Kaukasus-Fan, schließlich habe er eine Grammatik der armenischen Sprache verfaßt.
Ich hörte den Anrufbeantworter ab. Und wurde angesteckt von der Sucht, inhalierte die Schwaden, versank im Rausch und badete in der gefährlichen Glut.
* **
»Sally?« Eine kehlige Männerstimme, heiser und drängend, Englisch mit ausländischem Akzent. »Hier spricht Issa. Unser Oberster Führer fährt morgen nach Nasran. Zu einem Geheimgespräch mit dem Rat. Richten Sie das bitte Mischa aus.«
Klick.
Mischa, dachte ich. Einer von Tschetschejews Decknamen für Larry. Nasran, einstweilige Hauptstadt von Inguschien im Nordkaukasus.
Eine andere Männerstimme, nicht kehlig, todmüde, ersticktes Murmeln in Russisch. »Mischa, ich habe Neuigkeiten. Die Teppiche sind auf dem Berg angekommen. Die Männer sind glücklich. Grüße von unserem Obersten Führer.«
Klick.
Ein Mann, flottes Englisch mit leicht asiatischem Akzent: Mr. Dass’ Doppelgänger, den ich nach Betätigung der Wahlwiederholung in der Cambridge Street gehört hatte.
»Hallo, Sally, hier Teppichhaus, vom Autotelefon «, verkündet er stolz, als ob das Telefon oder das Auto eine brandneue Errungenschaft seien. »Soeben kam Nachricht von unseren Lieferanten, wir sollen uns für nächste Woche bereithalten. Müssen noch mal über Finanzen reden, glaub ich. (Kichern) Prost.«
Klick.
Und nach ihm Tschetschejews Stimme, wie ich sie unzählige Male auf Telefon- und Abhörmitschnitten vernommen hatte. Er spricht Englisch, doch bei genauerem Hinhören hat seine Stimme die künstliche
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