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Unser Spiel

Unser Spiel

Titel: Unser Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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theoretisch, wenn da nicht auch die verdammten Osseten säßen. Eines Tages wirst Du es kennenlernen und dann auch verstehen. Während ich das hier schreibe, habe ich Negley Farsons Buch auf dem Knie liegen. Hör, was er Tröstliches zu sagen hat: »So seltsam es scheinen mag, denn der Kaukasus zählt zu den wildesten Gebirgen der Erde, man empfindet in der Einsamkeit hier eine tiefe menschliche Liebe, ein wahres Gefühl von Brüderlichkeit: und bei allem Bewußtsein der Vergeblichkeit den schmerzlichen Wunsch, die seltene Schönheit dieser Berge bewahren zu können. Sie nehmen einen gefangen. Wer einmal in den Bann des Kaukasus geraten ist, wird sich nie mehr davon befreien können.« Bestätigt und nochmals bestätigt durch meine Reise vorige Weihnachten. Gott, ich liebe Dich. In einer Stunde kommt der Unterausschuß Künste zusammen. Wie typisch für die Lubjanka, daß sogar der Ausschuß Künste mit einem »unter« versehen wird. Du bist mein Kaukasus. Ich bin ein Ingusche .
    In Allah, Dein L.
    * **
    Emm,
    Frage von Thatcherknabe Talbot, der beschlossen hat, sich einen Bart wachsen zu lassen: Bitte, Larry, warum ist der Westen auf Schewardnadse reingefallen? Antwort, lieber Talbot: weil Schew mit seinem traurigen, verquollenen Gesicht zwar aussieht wie jedermanns Daddy, in Wirklichkeit aber ein KGB-Dinosaurier ist, der früher mit der CIA zusammengearbeitet und jede Menge Dissidenten schändlich unterdrückt hat.
    Frage von Thatcherkind Marcia: Warum hat der Westen dem ordentlich gewählten Gamsachurdia die Anerkennung verweigert? Dann aber, sobald Moskau die Marionette Schewardnadse eingesetzt hatte, nicht nur diese halbe Portion anerkannt, sondern auch noch vor seinem Völkermord an den Abchasiern, den Mingreliern und so weiter die Augen verschlossen?
    Antwort, liebes Thatcherkind Marcia: danke für deinen Kkkkuchen, und bitte geh ins Bbbbett mit mir, die guten Menschen auf beiden Seiten des Atlantiks haben sich zusammengetan und sind der Meinung, daß die Rechte der Minderheiten eine ernsthafte Bedrohung für den Weltfrieden seien …
    Ich liebe Dich bis zur Verzweiflung und wieder zurück. Wenn Du mich die Straße heraufkommen hörst, leg Dich bitte nackt hin, nachdenklich auf einen Ellbogen gestützt, und träume von den Bergen.
    * **
    Meine Finger waren schwarz.
    Schlangen wanden sich um meine Knöchel.
    Ich stand mit zur Kreuzigung ausgebreiteten Armen, zog das Farbband aus der Kassette und hielt es abschnittsweise ans Licht, bis es in Schleifen um meine Füße lag. Am Anfang verstand ich überhaupt nichts. Dann erkannte ich, daß ich wieder einmal auf Larry den Briefschreiber gestoßen war, diesmal in seiner vertrauteren Rolle als akademischer Terrorist:
     
    Ihr Artikel »Den Kaukasus mit Gewalt zur Vernunft bringen« ist ein widerwärtiges Machwerk. Besonders abstoßend daran ist der Versuch, die anhaltende Verfolgung stolzer und leidenschaftlich unabhängiger Völker zu rechtfertigen. Seit dreihundert Jahren plündern, morden und vertreiben zaristische und sowjetische Russen die Bergvölker des Nordkaukasus mit dem Ziel, deren Kultur, Religion und Lebensart zu vernichten. Wo Konfiszierungen, Versklavung, gewaltsame Bekehrungen und vorsätzlich Uneinigkeit stiftende Grenzziehungen nicht zum Erfolg führten, verlegten sich die Russen auf Massendeportationen, Folter und Völkermord. Hätte der Westen während des Niedergangs der Sowjetmacht selbst auch nur das geringste Interesse für den Kaukasus aufgebracht, anstatt mit offenem Mund auf gewisse Interessengruppen zu hören – für die Ihr Autor ein eklatantes Beispiel ist –, dann hätten die furchtbaren Konflikte, von denen die Region in letzter Zeit heimgesucht wird, vermieden werden können. Und ebenso diejenigen, die uns in Kürze überrollen werden.
    L. Pettifer
    Eine an einen anderen von Larrys Feinden gerichtete Breitseite war unvollständig:
     
    … weshalb die Osseten auch heutzutage Moskaus zuverlässige Handlanger sind, wie schon unter den Kommunisten und davor unter den Zaren. Gewiß, im Süden haben die Osseten gegen die anderen ethnischen Säuberer, die Georgier, den kürzeren gezogen. Aber im Norden, in ihrem Zermürbungskrieg gegen die Inguschen, bei dem sie schamlos von regulären Einheiten bestens ausgerüsteter russischer Truppen unterstützt wurden, gehen sie eindeutig als Sieger hervor …
    Getippt von Emma, drei Tage bevor ich den Verfasser beinahe umgebracht hatte. Wofür sein namenloser Feind zweifellos gebührend dankbar

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