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Unser Spiel

Unser Spiel

Titel: Unser Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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Bestätigung mancher Dinge, die ich vermutet oder längst gewußt hatte: flüchtige Liebschaften, diverse Affären und Zerstreuungen, ihr Streben nach dem Absoluten in einer Welt aus Pfusch und Falschheit. Ich erkannte ihre Bereitschaft, bei der Suche nach Prinzipien auf Prinzipien zu verzichten; und die Leichtigkeit, mit der sie alle Verpflichtungen abschüttelte, wenn diese mit dem in Konflikt gerieten, was sie für das Ziel ihrer Suche hielt. Ihre Herkunft hatte, auch wenn sie nicht so entsetzlich war, wie sie mir vorzumachen versucht hatte, unter einem ebenso unglücklichen Stern gestanden. Von ihrer Mutter in dem Glauben erzogen, sie sei das uneheliche Kind eines großen Musikers, hatte sie dessen Heimatdorf auf Sardinien besucht und dort erfahren müssen, daß er Maurer gewesen war. Wenn überhaupt von jemandem, hatte sie ihr musikalisches Talent von der Mutter geerbt. Emma hatte sie gehaßt, und ich, als ich die Akte las, haßte sie auch.
    Ich legte die Mappe sachte beiseite und nahm mir Zeit, darüber nachzudenken, was Merriman wohl damit zu erreichen geglaubt hatte, als er sie mir aufdrängte. Erreicht hatte er nur, daß die qualvolle Angst, die ich um Emma empfand, ebenso wiederauflebte wie meine Entschlossenheit, sie vor den Folgen jedweder Verrücktheit zu retten, in die Larry sie hineingezogen hatte.
    Ich nahm die erstbeste Kiste, kippte sie aus und nahm die nächste, bis alle acht geleert waren. Die vier Müllbeutel aus der Cambridge Street, die mit Drahtclips zugebunden waren, starrten mich an wie maskierte Inquisitoren. Ich riß ihnen die Schlingen vom Hals und schüttelte den Inhalt auf den Boden. Blieb nur noch der Beutel mit den verkohlten Papieren. Behutsam kippte ich ihn aus und schob die nicht verbrannten Teile mit den Fingerspitzen zu einzelnen Häufchen zusammen. Vor den Überresten von Emmas improvisiertem Verschwinden kniend, machte ich mich an die Aufgabe, in die geheime Welt meiner Geliebten und ihres Liebhabers einzudringen.

10
    Ich las, wie ich noch nie gelesen hatte. Was meinem Blick entging, meine Hände fanden es, mein Hirn konstruierte es. Ich strich Zettel glatt und setzte andere, die sorglos zerrissen worden waren, wieder zusammen, legte sie auf verschiedene Stapel und prägte sie mir gleichzeitig ins Gedächtnis ein. Wenn ich nicht irrte, blieben mir nur noch Stunden, und so schaffte ich in Stunden, wozu ich früher Wochen gebraucht hätte. Meine Besessenheit mochte einer blinden Logik folgen, aber da spielte auch eine ungeheure Erleichterung mit. Die Erklärung liegt vor dir! Alles, das Wie und Warum, das Wann und Wo, ich muß es nur noch entschlüsseln! In diesen Papieren – und nicht in irgendeinem paranoiden Winkel von Cranmers allzu aktiver Phantasie – sind Antworten auf Fragen begraben, die mich seit Wochen Tag und Nacht verfolgt haben: Hat man mir etwas angehängt, mich reingelegt, bin ich das Opfer einer teuflischen Verschwörung? Oder bloß ein verliebter Trottel, der den Wahnvorstellungen seiner Wechseljahre aufgesessen ist?
    Wie weit ich hinter Larry und Emma zurück war, oder wie weit ich ihnen voraus war, konnte ich nicht beurteilen. Manches wußte ich ganz, manches halb. Dann wußte ich wieder gar nichts. Oder ich hatte ihre Schritte vorausgeahnt, und nur das Ziel blieb mir ein Rätsel. Oder ich kannte das Ziel, wollte aber das Motiv nicht billigen: Es war zu verrückt, zu weithergeholt, zu abseitig, auf geradezu sträfliche Weise zu obskur, als daß ich es glauben konnte. Oder ich lehnte mich plötzlich auf meinem Stuhl zurück, um wider alle Vernunft glückselig die Decke anzugrinsen: Ich war nicht das Ziel, ich war nicht das Opfer ihres Betrugs; die beiden waren hinter etwas Größerem her; Cranmer war bloß ein nicht ganz unschuldiger Zuschauer.
    Papiere voller Zahlen, Geschäftsbriefe, Briefe von Banken und Kopien von Antwortbriefen. Infomaterial von einer Organisation, die sich Bündnis für das Überleben von Stammesvölkern nannte; Material aus München; eine Broschüre Gott als Nebensache , Verfasser ein P. Wook in Islington. Der Esso-Terminkalender, ein Kalender mit Eintragungen, das russische herausklappbare Adreßbuch, Larrys wirres Gekritzel. Rechnungen: Telefon, Strom, Wasser, Miete, Lebensmittelgeschäfte, Larrys Whiskey. Rechnungen: ordentlich aufbewahrt, bezahlt, quittiert. Typisch Emma, nicht Larry, auch wenn die Rechnungen unterschiedlich adressiert waren, an S. Anderson, an T. Altman, an Freiheit für Prometheus GmbH, Cambridge Street. Ein

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