Unser Verhältnis verhält sich verhalten (German Edition)
Verkehrsmittel bewirken. Das große leuchtende U an der nächsten Straßenbiegung verspricht schnelles Verschwinden von diesem Ort, der gerade an Langeweile nicht zu übertreffen ist.
Ich gehe die Treppen hinab in den Untergrund, und bei jeder Stufe verliere ich das Gefühl, hierbleiben zu wollen. Dort draußen, ja selbst da unten wartet die Stadt und nimmt mich in ihre Arme. Diese Arme sind mir lieber als der zerrende Wind, ich richte meine Kleidung und sehe, dass der nächste Zug in Richtung Partyviertel in wenigen Minuten eintreffen wird. Als ich den Waggon betrete, drückt ein Schwall aus Körpergeruch, Parfüm und Wortfetzen gegen mich, ich stelle mich in eine Ecke neben der Tür und denke mich in Weichspüler-Wohlfühlwelten. Es hilft wenig, die Party-Touristen drängen dem Kiez und den Türen entgegen, das ist Einengung inmitten von Einsamkeit, denn von Alleinsein ist keine Rede.
Ich betrachte die Menschen, die mit mir fahren, und es fällt mir schwer, ihre Leichtigkeit und ihre Freude zu verstehen und, unabhängig davon, zu ertragen. Sie lachen, und einige wanken, ich hingegen warte, mit starrem Blick neben die Tür gelehnt und mit der Hand fest die Haltestange umschlingend. Die Bahn stoppt noch einige Male, dann werde ich mitsamt einer Horde feierwütiger Menschen aus dem Waggon gespuckt. Sie schieben mich mit sich, und erst auf der Straße kann ich mich aus dem reißenden Knäuel befreien. Es ist laut hier, die Lichter der Bars leuchten, und es erinnert alles an den Zirkus, als den ich mir früher die Welt vorgestellt habe. Es scheint egal, wo ich mich aufhalte, das Treiben und Reiben der Leute und Leuchten ist überall dasselbe.
Mein Weg führt mich vorbei an Junggesellenabschieden und Table-Dance-Clubs zu der Kneipe, in der ich schon oft getrunken habe und die für mich eine gute Mischung aus Fremdsein und Behagen darstellt. Am Tresen stellt der Barkeeper, der gleichzeitig auch Eigentümer ist, ungefragt ein Bier vor mich hin. Ich nicke ihm dankend und in Gedanken prostend zu. Er erwidert, indem er zu der Juke-Box neben der Eingangstür schlurft und «She loves you» von den Beatles spielen lässt. Mein Stammplatz ist ein kleiner Tisch in der einen Ecke des Raumdreiecks Tür–Tresen–Tisch. Neben den drei Ecken und der Musikbox gibt es dort nur noch einen kleinen Flur, der zu den Toiletten führt. Diese sind meist sauberer als die Tischplatte, an welcher ich sitze.
She loves you – sie liebt dich. Vielleicht liebe ich den Barmann, wahrscheinlich liebe ich diesen Ort. Ich habe keine Ahnung, ob dieses Lied etwas mit mir zu tun haben soll, und trotzdem singe ich mit, flüsternd, um weder die Musik noch den Barmann zu stören. Das Bier spült meine Gedanken schleudergangartig weich, es geht mir besser, weil ich beschließe, heute keine Suche nach jemandem zu starten, der mein Alleinsein und vielleicht meine Einsamkeit lindern könnte.
Ein Mann Mitte sechzig betritt das Lokal. Er zieht einen kleinen, sehr runden Hund hinter sich her, der besser in einem Wägelchen aufgehoben wäre, anstatt an seiner Leine umhergeschleift zu werden. Die beiden setzen sich an meinen Tisch, schnaufen in den gleichen kurzen Atemzügen und werden mit Getränken versorgt. Wasser für den Hund, Bier und einen doppelten Korn für den Mann. Andersherum wäre lustiger gewesen, denke ich. Situationskomik ist diesem Ort fremd, genau wie verbale Kommunikation. Aber gerade deswegen kommen die Leute hierher. Man darf einsam sein, aber keiner muss dabei allein sein. Der Hund schnüffelt apathisch an meinen Schuhen, gibt dabei keinen Laut von sich, außer dem anhaltenden Schnaufen, und hat anscheinend die Prinzipien, die hier herrschen, verstanden.
Anstatt ihn zu verscheuchen, beuge ich mich vorsichtig zu ihm hinunter und betrachte ihn eingehend. Klein, dick, mit meinen Füßen und seinem Atmen beschäftigt. «Hallo», sage ich nach unten. Der Hund hebt den Kopf und schaut mir entgegen. Er hat Augen, die neugierig, hungrig und etwas treudoof blicken. Ich habe das Gefühl, dass ich in manchen Momenten genauso gucke. Ich strecke ihm meine Hand entgegen, und er lässt sich den Kopf streicheln. In diesem Moment sieht der Mann zu uns und krakeelt: «Nicht füttern. Nicht füttern. Die Ella hat Zucker.» «Ich füttere Ihren Hund nicht. Ich streichle ihr nur den Kopf», erwidere ich. Der Mann nickt, ich nicke ebenfalls, und Ella hat Diabetes. Es ist immer wieder überraschend, wie sich die Dinge verändern, lässt man einen Kontext zu. Es
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