Unser Verhältnis verhält sich verhalten (German Edition)
ist immer wieder überraschend, wie Tiere Menschen dazu anhalten, zu kommunizieren. Ich könnte jetzt ein Gespräch beginnen, belasse es aber beim Schweigen.
Ella hat aufgehört, an mir zu riechen, und sich einfach auf meinen Füßen niedergelegt. Ihr warmer Körper bebt in Wellen auf und ab, ich lasse es zu und trinke mein Bier. Ich brauche solche Momente. Augenblicke, in denen Dinge passieren, egal, wie einfach und scheinbar nichtig sie sind. Denn in ihnen finde ich das, was ich des Nachts, wenn ich allein in meinem Zimmer sitze, in die Tasten grabe. Ich versinke in den Buchstaben wie Gummistiefel in frischgegossenem Estrich.
Meistens lösche ich die Textfetzen oder speichere sie irgendwo ab, das ist wie Fahrradfahren, das vergisst keiner, doch wenn man kein Rad braucht, nutzt man es eben nicht. Die Geschichten warten auf besseres Wetter, auf eine passende Gelegenheit, auch wenn sie niemals eintrifft.
Zeitgleich betreten ein verirrter Männerabend und ein Zauberer, man kann ihn an seinem riesigen, mit funkelnden Sternen beklebten Hut erkennen, die Bar. Die Männer, den Zenit ihres Abends haben sie bereits überschritten, lallen und wecken mit ungestümen Fußsohlen die schlafende Ella und mich aus meinen Gedanken auf. Sie drückt ihren alten, kleinen, rundlichen Körper gegen mein Bein, und ich fahre fort, ihren Kopf zu tätscheln. Ihr Besitzer gesellt sich zu der Gruppe Trinkwütiger und wird mitsamt Schulterklopfen und Schnaps in die Horde aufgenommen. Der Zauberer setzt sich auf den nun freien Platz an meinem Tisch und schaut mich an. Ich blicke abwechselnd zu Ella und ihm. Dann nimmt er wortlos eine Spielkarte aus der Tasche in seine Hand, schwenkt diese dreimal, und schon ist sie verschwunden. Ich sehe ihn verwundert an, und als ich gerade ansetze, um zu fragen, wo denn die Karte hingekommen sei, da zieht er sie unter meiner Bierflasche hervor. Ich bin begeistert und applaudiere, Ella hebt den Kopf und jault durch die immer stickiger werdende Barluft. Die Aufmerksamkeit der anderen ist nun auf uns gelenkt, und so nutzen der Zauberer und ich den Moment, um dem Barmann per Handzeichen zu bedeuten, eine neue Runde auf den Tisch zu stellen.
Wir stoßen wortlos an.
Ich mag Menschen, die das, was ich unter Realität zu verstehen glaube, verkehren. Die alles einfach austricksen und damit alles Glaubwürdige in Frage stellen. Denn wahr ist nur das, was jeder für wahr hält. Die Realität ist eine austauschbare Handlung, die zwar in manchen Momenten einen Konsens erlangt, aber immer in der Betrachtung des Einzelnen liegt. Diesen Konsens kann jeder benennen, zum individuellen Beschreiben fehlen die Worte. Wenn jemand keine Farben sehen, keine Töne hören oder nichts schmecken kann, dann besitzt auch derjenige eine Realität, auch wenn sie die anderen vielleicht nicht nachvollziehen können. Aber für denjenigen ist es real, und das kann niemand abstreiten.
Wahrscheinlich hat niemand der hier Anwesenden den Zauber der Spielkarte gesehen, und wenn doch, dann vielleicht aus der Perspektive, die das Mysterium als einfachen Trick entlarvt. Die Realität funktioniert genau wie das hier, denke ich und bin froh, wenigstens einen winzigen Mechanismus dieses Lebens zu durchschauen.
Mein Bier leert sich, die Bar hingegen füllt sich. Der kleine Raum ist bestückt mit Menschen, die sich nicht daran stören, gedrängt wie Hühner in einer Legebatterie auf wenigen Quadratmetern zu sein. Sie lassen alles zu, lassen den Alkohol in ihr System, um das System, in welchem sie leben, gedanklich zu ertragen oder wenigstens zu verdrängen.
Ich verdränge auch. Die Geschichten, die ich erlebe, aber niemanden sonst etwas angehen, die Einsamkeit, das Alleinsein und die Stadt, die mich in vielen Momenten nicht belebt, sondern einengt, beschränkt und mich in Schranken weist, zwischen denen ich nicht sein will.
Ich streichle Ella zum Abschied noch ein paar Mal, dann setze ich sie einfach auf meinen nun frei werdenden Stuhl und mich in Bewegung, um meine Getränke an der Bar zu bezahlen. Das Durchkommen ist fast unmöglich, und so lege ich schweigend einen Fünf-Euro-Schein auf den Tresen, nicke dem Barmann zu und verlasse die Kneipe.
Es ist nur eine Stunde vergangen, seit ich in die Bar gegangen bin, und draußen füllen sich die Bürgersteige mit Lachen, Lallen und Glasflaschenklang. Ich beschleunige meinen Schritt, steuere an der U-Bahn-Station vorbei und mache mich zu Fuß auf den Heimweg.
Die frühe Nachtluft ist kühl, und ich
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