Unser Verhältnis verhält sich verhalten (German Edition)
die Vermutung, dass wir uns die Zimmer teilen, sind alle Annahmen vollkommen richtig. Ich bin der gläserne Mensch in einer gläsernen mentalen Wohnung, die nicht nur in der Vorstellungskraft von irgendwelchen fremden Menschen existiert.
«Das kommt von diesem bösen Herrn Internet!», würde meine Oma jetzt sagen, weil meine Oma auch immer sagt, dass der böse Herr Hausmeister heimlich ihre Post liest und deshalb genau weiß, dass sie für den Tierschutzverein spendet. Und, dass er sie beobachtet. Natürlich tut der böse Herr Hausmeister das alles nur in Omas Phantasie, aber ich muss ihr zustimmen, dass die Leute zu viel wissen und sich deswegen so vieles denken können.
Bei meinem Vorstellungsgespräch in der WG habe ich mir nichts gedacht. Ich gebe zu, dass ich mich zunächst etwas über die Gegend (einsam und dunkel) und das Treppenhaus (vollgemüllt und vollgetagt) gewundert habe. Aber ich wollte ja weg aus dem beschaulichen Eimsbüttel, ich fand es gut, dass hier anscheinend niemand Treppenhausputzdienste verrichten musste. Ich klopfte an die Tür, mir wurde geöffnet, und ich ging den langen Flur entlang, welcher in einem riesigen Wohnzimmer endet. Hier saßen mindestens dreizehn Leute, Mitbewohner_innen und deren Freund_innen, und starrten mich an. Ich setzte mich auf den einzigen freien Stuhl, erzählte von Uni, Poetry Slam und meiner bisherigen Wohnsituation. Ich hörte bei den Putz- und WG -Kassen-Erläuterungen zu und beantwortete die obligatorischen Fragen nach Lieblingsfarbe, -getränk und -tier.
Eine halbe Stunde später ging ich, und schon am nächsten Tag wurde mir mitgeteilt, ich könne einziehen. Ich habe kurz überlegt, gedacht: «Wenn’s nicht klappt, kannste ja auch wieder ausziehen», und sagte zu. Jetzt lebe ich hier, bin glücklich, habe nicht vor, demnächst wieder auszuziehen, und bin froh, bei WG -Castings auf der anderen Seite zu sitzen.
Wer hier wohnt, liebt diese Wohnung und verteidigt sie gegen andere. Zum Beispiel, wenn bei den «Vorstellungsgesprächen» jemand sagt: «Oh, das ist aber groß hier. Und gar nicht mal so dreckig, wie ich gedacht habe.» MÄP . Ganz falsch. Du wirst hier nicht einziehen, sagen dann die Blicke aller Mitbewohner_innen.
Nicht so dreckig?!
Wir haben die Wohnung vor dem Casting drei Stunden aufgeräumt, wir haben sogar das PVC -Laminatimitat gewischt! Das machen wir sonst nur nach einer Party, und wir feiern vier davon im Jahr. Du dämliches Stück Mensch, sagen unsere Blicke, du bist gar nicht würdig, aus unseren spülmaschinenbedingt leider nicht so sauberen Gläsern unser ekliges Leitungswasser zu trinken. Nein, wir haben es nicht abgekocht, und das wirst du merken. Denn in deinem Bauch wird sich in den nächsten Stunden einiges tun, wir sind da mittlerweile abgehärtet, aber du nicht, du hipper Ich-möchte-gern-hier-einziehen-weil-ich-Pädagogik-studiere-Hippie. Wir sind keine Sozialstudie, wir sind eine WG . Und noch was: Hammerbrook ist nicht die Bronx, hier kann man nach Einsetzen der Dunkelheit ohne Begleitschutz die Straße betreten, und ja, es ist laut, aber dafür kann man auch laut sein, weil hier sonst keiner wohnt. Und wenn wir dich fragen, was du so mitbringen würdest, könntest du hier einziehen, dann ist das eine doppeldeutige Frage. Guck dich doch mal um! Fehlt hier irgendwas?! Hier ist eher zu viel Scheiß, der wegkann. Apropos, bei der letzten Party hat eine Frau das Klo nicht gefunden und einfach auf den Teppich gepinkelt. Eigentlich komisch, wir haben zwei Badezimmer mit zwei Toiletten. Letztlich war das aber gar nicht so schlimm, weil wir robusten Industrieteppich haben und deshalb auf Partys die Gäste immer bitten, nicht auf dem PVC ihre Kippen auszutreten, sondern auf dem Teppich.
Andere Besonderheiten der Wohnung sind schnell erzählt: Der seit Jahren auf unserem Stockwerk stehen gebliebene Aufzug dient als Abstellkammer für Holz. Keine Ahnung, wo das immer herkommt, aber der Fahrstuhl ist voll davon. Praktisch allerdings, wenn sich mal wieder jemand vornimmt, etwas zu bauen, und das dann doch nichts wird: einfach zurück mit dem Zeug, dahin, wo es hergekommen ist.
Auch die Klingel hat es nicht über ein Haltbarkeitsdatum von vier Wochen geschafft, und so hat ein liebevoll lautes Türklopfen das sonst übliche Ringen ersetzt. Immerhin geht das Telefon, und auch das Internet gibt nur an drei Tagen die Woche den Geist auf, wir sind also nicht permanent von der Außenwelt abgeschlossen.
Wobei das auch nicht so schlimm
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