Unser Verhältnis verhält sich verhalten (German Edition)
fühle mich genau richtig. Es gibt gerade nichts für mich zu tun, ich habe diesmal nicht zwanghaft versucht, Menschen kennenzulernen. Ich habe sie ebenso wenig nur von außen betrachtet. Ich habe es geschafft, dabei zu sein und doch bei mir zu bleiben. Ich habe das erste Mal das Gefühl, in dieser Stadt ankommen zu können. Und zwar dann, wenn ich etwas verlasse, das mich nicht ankommen lässt.
Gehen, um zu bleiben
«Wir sollten uns mal unterhalten.» Das hat Sabrina heute Morgen zu mir gesagt, und obwohl ich meinerseits genau das Gleiche denke, habe ich Angst. Ich habe Angst vor diesem Gespräch, vor ihren und meinen Aussagen, die ich mir im Kopf schon schön zurechtgelegt habe. Vor ihren und meinen Reaktionen, die ich mir ebenfalls überlegt habe. Ich habe beschlossen, nicht ausfallend zu werden, weder mit Worten noch mit Dingen um mich zu schmeißen und keine Türen zu knallen oder Snoopy-Bettlaken zu zerreißen.
Wir waren enge Freundinnen und Mitbewohnerinnen. Wir haben ein Jahr lang eine Bilanz durch die Straßen gezogen, haben gefeiert und für unsere Küche Gläser aus Bars geklaut. Haben zwei Fahrradunfälle mit aufgeschlagenen Knien vom Fallen und strammen Waden vom Wiederaufstehen erlebt.
Doch seit einem halben Jahr wohnen wir aneinander vorbei zusammen. Das Bier auf dem Balkon ist schal geworden, die DVD s liegen eingestaubt auf dem Regal. Das Fahrrad hat einen Platten, und entweder fallen wir beide und bleiben liegen oder stehen auf und gehen. Wir haben Menschen kennengelernt, haben Freunde gefunden, haben mit anderen gefeiert, haben uns in andere verliebt – und ich habe mich entliebt.
Die Liebe zwischen uns ist der Liebe zur Beziehung gewichen. Sabrinas Beziehung braucht so viel unendliche Liebe. Und ich suche ständig danach. Wir haben uns vereinnahmen lassen von Liebe und Nichtliebe, sodass wir dabei vergessen haben, dass auch wir uns lieben und brauchen. Es hat einen Knick in der Statistik gegeben, unsere Einbahnstraße haben wir für zwei Fahrtrichtungen freigegeben, und jetzt begegnen wir uns nur noch im Vorüberrasen.
Wir sind nur noch ein Gespräch vom Schlussstrich entfernt. Das sagt mir jedenfalls mein Angstgefühl.
«Wollen wir uns in die Küche setzen?», fragt Sabrina, holt zwei geklaute Gläser vom Regal und den Weißwein aus dem Kühlschrank. Ich nicke und setze mich. «Ja», sage ich. «Ja», sagt Sabrina. Wir reden über unser Zusammenleben, das schon lange keines mehr ist. «Ich hatte so viel Angst davor, mit dir zu reden», sagt Sabrina, und ich nicke. Da ist die Furcht vor Veränderung, die uns aber trotzdem beiden wichtig erscheint, auch wenn sie bedeutet, die andere nicht mehr nur ein Zimmer weit entfernt zu wissen. Vor uns liegen Erfahrungen, die wir nicht mehr teilen, und hinter uns stehen Erinnerungen, die immer bleiben werden.
Wir reden und bauen uns Raststätten entlang unserer Schnellstraße. Verweilen in Vergangenem und bereuen nichts. Nur vielleicht, dass wir nicht schon eher, als sich die Wege zu trennen begannen, darüber gesprochen haben. Der Schlussstrich wird zur gestrichelten Linie, die uns erlaubt, in die eigene Richtung zu gehen, aber eben auch zulässt, hin und wieder einen U-Turn zu machen und nebeneinander und miteinander zu sein.
Wir sehen uns an, und ich sage: «Es tut mir leid.» Sie nickt. Dann steht sie auf, und ich erhebe mich ebenfalls, und dann nehmen wir uns in den Arm. Wir halten uns, und es ist warm. So warm wie schon lange nicht mehr. Wir beschließen, auseinanderzuziehen, damit wir Freundinnen bleiben können.
Jetzt ist alles endlich gesagt.
Ich werde meinen ersten Platz zum Bleiben verlassen. Und suche mir eine neue WG .
Neuner- WG
Wenn man mich fragt, wo ich denn jetzt wohne, und das tut man oft, dann antworte ich: «In Hammerbrook. Zu neunt.» Erschrockene Gesichtchen starren mich an, Münder bleiben offen stehen, als hätte jemand das Atmen verboten, Augen verdrehen sich, bis nur noch das Weiße zu sehen ist. « WAS ???!!! Ist das nicht: anstrengend, laut, nervig, zu viele Leute, zu wenig Platz, wie macht ihr das mit dem Putzen, esst ihr alle alleine, mögt ihr euch, habt ihr jeder ein eigenes Zimmer, oder teilt ihr euch fünf?» «Ja, ja, ja, ist klar. Ihr habt ja keine Ahnung», sage ich dann und denke: Natürlich haben die Ahnung. Und die waren noch nicht mal da! Die können gar nicht wissen, wie es bei dir zu Hause ist, und vor allem, was da immer los ist, und trotzdem sind ihre Vorstellungen vollkommen treffend. Denn bis auf
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