Unser Verhältnis verhält sich verhalten (German Edition)
sich um und geht zu seinen Freunden auf den Dancefloor. Ich verstecke mich hinter einer Säule, damit er nicht auf die Idee kommt, mich weiter geistig zu belästigen. Na, immerhin hat er’s jetzt wohl endlich kapiert. Weil es aber ziemlich dämlich ist, sich auf einer Party hinter einer Säule zu verstecken, nur weil da einer ist, den ich nicht sehen will, gehe ich zehn Minuten später nach Hause. Hätte ich keine Angst davor, der Kerl könnte mich kidnappen oder irgendwas anderes Schlimmes machen, würde ich gerne Meine-Party-deine-Party-wem-gehört-die-Party spielen. Das Spiel ist einfach, man kann Party auch durch «Stadt» oder «Klo» ersetzen: Man nehme zwei Menschen, die in irgendeiner Weise körperlich-zwischenmenschlich mal verbunden waren, es aber nicht mehr sind. Dann treffen sich die beiden auf einer Party/in der Stadt/auf dem Klo, und entweder begrüßen sie sich nett, und alles ist gut, weil jeder den anderen ohne Diskussion einfach da sein lässt. Oder sie ignorieren sich, was in der Stadt super klappt, aber Probleme bei Tisch- und Spieleabendkonversationen verursacht. Da kommt einfach keine lustige Stimmung auf. Die dritte Möglichkeit: Die beiden sehen sich und gehen wie Kampfhähne aufeinander los. Da verliert bekanntlich immer einer, und der zieht dann ab, während der andere bleiben darf, manchmal unter dem freudigen Gejubel der Anwesenden, manchmal gefolgt vom Ausschluss aus der Gruppe, die dann doch solidarischer für den anderen gewesen ist. Ich habe ignoriert, mich versteckt und bin nach Hause gegangen. Das ist dann wohl die vierte Variante.
Zu Hause öffne ich meinen Facebook-Account und sehe, dass Matthias mir eine Nachricht auf meiner Pinnwand hinterlassen hat: «Du bist echt bemitleidenswert! Wünsch dir noch ein beschissenes Leben!» Fünf Leuten gefällt das. Oha, denke ich, wer ist denn hier bitte bemitleidenswert? Und wieso soll
ich
denn ein beschissenes Leben haben? Ich schreibe wütend unter seine Aussage: «Ich habe ein wundervolles Leben OHNE DICH , Matthias. Ich hatte ein wundervolles Leben VOR DIR , Matthias. Nur MIT DIR war’s scheiße.»
Das gefällt niemandem. Ich frage mich, was die Menschen in den Neunzigern gemacht haben, als es noch kein Handy oder Internet gab. Da hat man doch auch irgendwie seiner Affäre klargemacht, dass Schluss ist. Ohne, dass es gleich die ganze Welt erfahren musste. Ohne, dass jemand virtuell seine Zustimmung abgab. Und wenn man sich dann noch vorstellt, dass die SMS nur ein technisches Abfallprodukt der handyalen Kommunikation war und das Internet nur für militärische Zwecke erfunden worden ist, dann wird einem so einiges klar. Wir führen mit Müll und Gewalt Beziehungen. Um mir das klarzumachen, braucht es allerdings keine Technik. Dafür braucht es nur Matthias.
Ich sammle meinen Haus-, Sperr- und Giftmüll zusammen, stecke alles in eine Tüte, nehme sie in die eine, den Baseballschläger in die andere Hand und gehe zu Matthias’ Haus. Als ich ihn unter Androhung von Gewalt dazu zwinge, meinen Müll anzunehmen, weint er. Er hätte das alles nicht so gemeint, es sei doch nur wegen all der Enttäuschung. Ich sage, da seien auch Batterien in dem Beutel und die seien schon ausgelaufen und würden ihn vergiften.
Matthias starrt in seinen Flur und hält sich Mund und Nase zu, wahrscheinlich, weil er Angst vor verseuchter Luft hat, vielleicht aber auch, weil er begriffen hat, dass es jetzt besser ist, zu schweigen. Während ich eine Rede über die Freiheit des Menschen und meinen Baseballschläger durch die Gegend schwinge, verdreht Matthias die Augen und kippt einfach um. Ich tippe ihn vorsichtig mit dem Schläger an, und als er wieder erwacht, sage ich ihm, dass ich jetzt gehen werde.
Am nächsten Tag steht die Mülltüte vor meiner Haustür. «Ich hasse dich!», steht auf einem Pappschild daneben. Danke, denke ich, danke, Matthias, denn Abneigung ist das einzige Gefühl, das Einzige überhaupt, das ich mit dir teile.
Vergessen
Mal ist da ein Geruch oder ein Geräusch oder ein Ort oder ein Moment, der mich an Menschen und Zeiten erinnert. Manchmal nur für eine Sekunde, in der jemand an mir vorbeigeht, etwas sagt, ich etwas wahrnehme.
Heute im Innenhof bei dem Müllcontainer steht eine Frau neben mir, als ich den Abfall entsorge, und ich bin mir sicher, dass sie Chanel Nr. 5 trägt. Das Parfüm, welches meine Mutter jahrelang auflegte und das mich an ihr Kopfkissen erinnert, auf welches ich meinen Kopf legte und an sie dachte, wenn
Weitere Kostenlose Bücher