Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)
verabschiedeten, wurde ein neues Kapitel aufgeschlagen. Staaten und private Banken kamen sich nun näher, als Bürgern und Kunden recht sein konnte. Der Kredit führte sie zusammen. Er wirkt für beide Seiten wirklichkeitsvergrößernd. Bald schon kooperierten und kopulierten Bank und Staat, bis unklar war, wer hier eigentlich die Verantwortung trägt. Aus hybriden Verhältnissen entschlüpfte eine Bastardökonomie, die – halb Markt- und halb Staatswirtschaft – im Schatten der Globalisierung gezeugt worden war. Das Wölfische kehrte in das System zurück.
Nirgendwo im Westen ist der Staat noch der, als der er sich ausgibt. Er ist heute eine Art Doppelwesen, das tagsüber auf dem roten Teppich wandelt, umbraust von Militärkapelle und Nationalhymne, um sich des Nachts im Schattenreich der globalen Finanzmärkte seinen Nachschub an Geld zu besorgen. Von den dortigen Eliten lässt sich der Politiker bereitwillig die modernen Finanzmarktprodukte erläutern: das Leasing der Müllfahrzeuge, das Sale-and-lease-back der Sportplätze, die Kreditausfallversicherungen, das Hebeln von Staatsanleihen und die Devisenspekulation auf Optionsschein. Noch im kleinsten Rathaus der Republik kommen diese riskanten Instrumente zum Einsatz. So gelangten die Banken zu ihrer einzigartigen Machtposition im Staate.
Der private Kapitalmarkt ist heute der große Ermöglicher von Politik. Politische Macht gegen wirtschaftliche Sonderstellung, das ist das Tauschgeschäft, auf dem dieses historisch einmalige und in keiner westlichen Verfassung vorgesehene Zusammenspiel beruht.
Im atemberaubenden Wachstum der Deutschen Bank, dem größten Institut unseres Landes, findet die neue Zeit ihren Ausdruck. Entsprach die Bilanzsumme des Geldhauses 1990 mit 200 Milliarden Euro erst rund neun Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung, erreicht sie mit heute knapp zwei Billionen über 90 Prozent unserer gesamtdeutschen Wirtschaftskraft – ein Plus von inflationsbereinigt 640 Prozent. Es gibt keine zweite Institution, keine Partei, kein anderes Großunternehmen, das ein vergleichbares Wachstum vorzuweisen hätte.
Überall auf der Welt sehen wir dieses enthemmte Wachstum des Finanzsektors. Er löste sich aus der Rolle des Dienstleisters, sein Wachstum schoss deutlich über das Wachstum all seiner Kunden hinaus, er veränderte die Wirtschaftsordnung, der er entsprungen ist.
Der Finanzsektor gilt fortan als » systemrelevant « , was zur Folge hat, dass der Bürger für seine Banken haftet: Politiker retten Banken, Banker retten Staaten, und beide zusammen lassen sich ihre Flitterjahre von den Notenbanken bezahlen, die mit dem Gelddrucken kaum mehr nachkommen.
Das, was wir bis dahin » Marktwirtschaft « nannten und als » sozial « bezeichnet haben, verformte sich unter dem Druck der Ereignisse. Risiko und Verantwortung wurden entkoppelt. Die Gelehrten können sich schon auf den Befund – hat der Staat oder hat der Markt versagt? – nicht mehr einigen. Von den Rezepturen – mehr Markt, rufen die einen; gebt uns das Primat der Politik zurück, die anderen – gar nicht zu reden.
Die Gewissheitsverluste übersteigen mittlerweile die materiellen Verluste. Aktien, Anleihen und verbriefte Immobilienkredite wurde teilentwertet, doch die Entwertung der klassischen Volkswirtschaftslehre war radikaler. Aktien und Anleihen erholen sich nach derartigen Krisen, die Erkenntnisse der Klassiker aber sind unter dem Schutt der Weltfinanzkrise begraben.
Wer diese Bastardisierung der Verhältnisse durchschaut, versteht, warum Marktfundamentalisten und Staatsgläubige, Konservative und Progressive, Christ- und Sozialdemokraten derzeit so leidenschaftlich an der Sache vorbeistreiten. Und er bekommt eine Ahnung, warum dem politischen Liberalismus der Zeit mehr fehlt als ein charismatischer Führer. Seine Grammatik stimmt nicht mehr, weshalb die Schlachtrufe der politischen Elite wie das Echo einer vergangenen Zeit klingen. Markt- und Staatsversagen müssen heute zusammen gedacht werden.
An den Universitäten wird die Rückmeldung aus der Wirklichkeit vielfach ignoriert, zumindest von den Professoren. Viele junge Menschen sind weiter. Sie besitzen ein deutlich sensibleres Radarsystem für die Veränderung. Sie spüren die aufkeimende Leere und die Notwendigkeit, sie mit neuen Annahmen zu füllen. Nur wer weiß, wo er herkommt, weiß, wo er hinwill.
Wir sollten gar nicht erst so tun, als ob die Krise beendet und die Risiken für die Zukunft unserer Kinder gemeistert
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