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Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)

Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)

Titel: Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabor Steingart
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Atomspaltung, an die möglichst effektive Nutzung von Kohle, Dynamit und Elektrizität. Er sah sich als Vollstrecker der Naturwissenschaften, weshalb alles Menschliche beiseitezutreten hatte. Das Soziale war für ihn ein Kostenfaktor, keine Produktivkraft.
    Die Marktwirtschaft aber weiß, dass erst die gemeinsame Anwendung von Naturgesetzen und sozialen Techniken die Wohlstandsvermehrung dauerhaft voranbringt. Wirtschaften bedeutet eben nicht nur ein rohes Gegeneinander auf den Märkten der Konkurrenz, sondern auch ein einfühlsames Miteinander. Wir müssen nur an die Zusammenarbeit der Mutterkonzerne mit ihren Tochterfirmen denken, an die Vertrauensbeziehung der Produzenten zu den Kunden, an das Partnerschaftliche von Betriebsleiter und Betriebsrat. Der Marktwirtschaftler kann zuhören und erklären, vermitteln und einlenken, derweil der Kapitalist das Wort » Kompromiss « nicht aussprechen mag. Er arbeitet am liebsten mit Hammer und Amboss. Der Marktwirtschaftler dagegen bevorzugt die Moderation. Er will alle zueinander bringen, Arbeit und Kapital, Bedürftige und Begüterte, Staat und Privatwirtschaft, Angebot und Nachfrage. Das Ausgleichende ist seine zweite Natur.
    Herzlosigkeit als Mitgefühl – die schwierige Rolle des Staates
    Die Marktwirtschaft erkennt an, dass es immer mehr als einen gibt. Der Kapitalismus liebt Monopole und strebt ihnen zu. Marktwirtschaft und Monopol dagegen sind zwei Begriffe, die sich abstoßen, so wie Marktwirtschaft und Knechtschaft auch. Wer » Marktwirtschaft « sagt, der sagt auch » Staat « .
    Der Kapitalist sagt auch » Staat « , aber er sagt es in verächtlichem Ton. Er verlangt dessen Unterordnung. Während der Marktwirtschaftler den Staat als Partner auf Augenhöhe anspricht, klingelt der Kapitalist nach ihm als Diener. Sein heimliches Ideal ist die staatsfreie Zone. Er will die Gesellschaft aufspalten in viele Atome, und weil er ahnt, dass ihm das nie ganz gelingen kann, versucht er, Staatlichkeit und Gruppeninteressen aller Art zu marginalisieren und zu diffamieren. Nur ein Staat, der vor sich hindämmert, ist für den Erzkapitalisten ein guter Staat. Nur eine Gewerkschaft, die sich als Nostalgieverein zum Gedenken an verpasste Siege versteht, wächst ihm ans Herz.
    Eine Ausnahme macht der Kapitalist allerdings schon. Er will den starken Staat, der sein Privateigentum schützt. Polizei, Armee, Überwachungsorgane – davon kann er nicht genug bekommen. Sein Eigentum, ob Fabrik oder Patent, vermag er nicht allein vor den vielen Feinden und Spähern zu schützen. Der Staat als Konservierungsmittel der Verhältnisse ist dem Kapitalisten recht.
    Die Marktwirtschaft hingegen begreift sich als ein Ordnungsprinzip, in dem staatliche Instanzen immer wieder aktiv werden, um Anarchie, Massenarmut, Ungerechtigkeit und Monopole aller Art zu vermeiden. Die unsichtbare Hand des Marktes und die eiserne Hand des Staates gehören für ihn zum selben Körper. Die eine gleicht aus, was dem anderen misslingt.
    Der Unterschied zwischen Kapitalismus und Marktwirtschaft wird am deutlichsten, wenn wir auf den sehr unterschiedlichen Umgang mit den Verlierern der Gesellschaft schauen. Der wölfische Kapitalismus ist das ökonomische Gegenstück zur jakobinischen Revolution, die keine Gefangenen machte. Beseelt von Stärke und Stringenz ihrer Gedankenwelt herrschte im Paris des späten 18. Jahrhunderts eine urwüchsige Kopf-ab-Mentalität, in der Mitgefühl als Willensschwäche und Armut als von Gott gewollt galten.
    Der Kapitalist der frühen Industrialisierung war sich keiner Schuld bewusst. Er glaubte, dass im Kapitalismus ein archaisches Prinzip verwirklicht sei. Der Löwe fragt schließlich auch nicht die Gazelle, ob sie gejagt, gerissen und verspeist werden will.
    Die Schlüsselbegriffe der kapitalistischen Heilslehre lauten Rivalität und Konkurrenz, Ungleichheit und Kampf. Der Schwache muss sich nach dem Starken strecken, nicht der Starke zum Schwachen hinunterbeugen. Hilfe würde den Menschen nur hilfloser machen, glaubt der Kapitalist, weshalb sie grundsätzlich zu unterbleiben habe.
    So sprach sich der Kapitalist nicht nur vom moralischen Makel der Herzlosigkeit frei, sondern erklärte in einer schlitzohrigen Paradoxie seine Herzlosigkeit zum Ausdruck von Mitgefühl. Unglück wird zur Vorbedingung von Glück. Der Kapitalist kommt seiner Verantwortung für die Gesellschaft dadurch nach, dass er sich für nicht zuständig erklärt. In das » freie Spiel der Kräfte « eingreifen will er

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