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Unsichtbar

Unsichtbar

Titel: Unsichtbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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Ausdruck: Ein Laboratorium menschlicher Möglichkeiten.

    14. 5. Ein schlimmer Tag. Heute Nachmittag ging mir auf, dass ich vor genau vier Monaten meine letzte Periode hatte. Bedeutet das, dass es endlich passiert ist? Ich warte immer noch sehnlich auf die vertrauten alten Krämpfe, die Blähungen, die Gereiztheit, das ausströmende Blut. Es geht nicht darum, dass ich keine Kinder mehr bekommen kann. Daran war mir nie viel gelegen. Alexandre hatte mich mehr oder weniger dazu überredet, aber wir haben uns getrennt, bevor dann etwas in dieser Richtung geschehen konnte. Für Stephane kamen Kinder nicht in Frage.
    Nein, es geht nicht mehr um Kinder. Dafür bin ich jetzt zu alt, selbst wenn ich noch schwanger werden wollte. Eher geht es darum, meinen Platz als Frau zu verlieren, aus den Reihen der Weiblichkeit ausgestoßen zu werden. Vierzig Jahre lang war ich stolz auf mein Blut. Habe mich gegen den Fluch behauptet im glücklichen Bewusstsein, diese Erfahrung mit jeder anderen Frau auf dem Planeten zu teilen. Jetzt bin ich davon abgeschnitten, kastriert. Das fühlt sich an wie der Anfang vom Ende. Heute eine Frau jenseits der Wechseljahre, morgen eine alte Schachtel, und dann das Grab. Ich bin so kaputt, dass ich nicht mal mehr weinen kann.
    Vielleicht sollte ich doch nach Quillia fahren, trotz meiner Bedenken. Ich muss die Dinge in die Hand nehmen, ich brauche frische Luft.

    17.5. Ich habe eben mit R. B. gesprochen. Seltsam, diese Stimme nach so langer Zeit wieder zu hören, aber er klang energisch und voller Tatkraft. Als ich sagte, ich hätte beschlossen, seine Einladung anzunehmen, schrie er begeistert: Wunderbar! Wunderbar! Das ist ja großartig!
    Heute in einem Monat werden wir (um R. B. zu zitieren) zusammen Samuels Rumpunsch trinken, abwechselnd den Sonnenuntergang filmen und die schönste Zeit unseres Lebens genießen.
    Morgen buche ich die Tickets. Fünf Tage Ende Juni. Abzüglich zweier Reisetage blieben drei ganze Tage auf Quillia. Sollte es die schönste Zeit meines Lebens werden, kann ich den Besuch immer noch verlängern. Und wenn ich es unerträglich finde, werde ich die drei Tage schon irgendwie überstehen.

    23.6. Nach einem langen Flug über den Atlantik sitze ich jetzt in einem Transitraum am Flughafen von Barbados und warte auf die kleine Propellermaschine, die mich in zweieinhalb Stunden nach Quillia bringen wird (falls sie pünktlich startet).
    Unausstehliche Hitze, mein Körper ist rundum eingeschlossen in kompakte Hitze, die Hitze der Tropen, eine Hitze, die einem die Gedanken im Kopf schmelzen lässt.
    Im Hauptterminal patrouilliert ein Dutzend Soldaten mit Maschinenpistolen. Eine Atmosphäre von Bedrohung und Misstrauen, Feindseligkeit in jedem Blick. Was geht hier vor? Ein Dutzend schwarzer Soldaten mit Maschinenpistolen in den Händen, die Scharen finsterer, schwitzender Reisender mit ihren prallen Koffern und quengeligen Kindern.
    Im Transitraum sitzen fast nur Weiße. Langhaarige amerikanische Surfer; Australier, die Bier trinken und sich laut unterhalten; Europäer verschiedener unbekannter Nationalitäten; ein paar asiatische Gesichter. Langeweile. Ventilatoren kreisen an der Decke. Konservenmusik, die keine Musik ist. Ein Ort, der kein Ort ist.

    Neun Stunden später. Die Propellermaschine war das kleinste Fluggerät, mit dem ich jemals geflogen bin. Ich saß vorne neben dem Piloten, die anderen zwei Passagiere direkt hinter uns, und nachdem wir abgehoben hatten, begriff ich sofort, dass wir jedem Windstoß, der uns in die Quere kam, hilflos ausgeliefert waren, dass schon die kleinste Störung in der Luft uns vom Kurs abbringen konnte. Wir schlingerten und schwankten, es ging rauf und runter, mir drehte sich der Magen um, und trotzdem war ich vergnügt, genoss den wie schwerelosen Flug, das Gefühl, in so engem Kontakt mit der unbeständigen Luft zu sein.
    Von oben gesehen ist die Insel nur ein Pünktchen, ein graugrüner Fleck erkalteter Lava im Ozean. Aber das Wasser darum ist blau - ja, das blaueste blaue Wasser unter dem Himmel.
    Es wäre übertrieben, den Flughafen von Quillia einen Flughafen zu nennen. Es ist ein Landestreifen, ein Asphaltband, ausgerollt am Fuß eines hohen, massigen Bergs, und nur Fluggeräte, die nicht größer als ein Spielzeug sind, können hier landen. Wir holten unser Gepäck im Terminal ab - einer winzigen Betonhütte - und mussten dann die Zoll- und Passkontrolle über uns ergehen lassen. Nicht einmal in Europa nach dem 11. September bin ich jemals

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