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Unsichtbar

Unsichtbar

Titel: Unsichtbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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einer so gründlichen Untersuchung meiner Habseligkeiten unterzogen worden. Mein Koffer wurde geöffnet, und jedes einzelne Kleidungsstück wurde herausgenommen und inspiziert, jedes Buch am Rücken gepackt und geschüttelt, jeder Schuh umgedreht und mit Argusaugen bis ins Innerste ausgespäht - langsam und methodisch, als sei dies eine Prozedur, die man unter keinen Umständen in Eile durchführen dürfe. Der Mann an der Passkontrolle trug eine zackige, ordentlich gebügelte Uniform, Symbol für Autorität und Bürokratentum, und nahm sich ausgiebig Zeit, ehe er mich gehen ließ. Er fragte nach dem Zweck meines Besuchs, und ich erklärte ihm in meinem mittelmäßigen, stark französisch gefärbten Englisch, ich wolle hier für ein paar Tage einen Freund besuchen. Wie heißt der Freund? Rudolf Born, sagte ich. Der Name schien ihm nicht unbekannt zu sein, und dann fragte er (unangemessenerweise, wie ich finde), wie lange ich Mr. Born schon kannte. Mein Leben lang, sagte ich. Ihr Leben lang? Meine Antwort schien ihn aus der Fassung zu bringen. Ja, mein Leben lang, wiederholte ich. Er war ein guter Freund meiner Eltern. Ah, Ihrer Eltern, sagte er und nickte nachdenklich, offenbar zufrieden mit meiner Antwort. Ich dachte, wir wären damit ans Ende unseres Gesprächs gelangt, aber dann schlug er meinen Pass auf und untersuchte ihn geschlagene drei Minuten lang mit dem begierigen, geduldigen Blick eines Gerichtsmediziners, studierte sorgfältig jede einzelne Seite, hielt bei jeder Eintragung inne, als seien meine früheren Reisen der Schlüssel zur Lösung der Rätsel meines Lebens. Schließlich nahm er ein Formular - einen schmalen Streifen Papier -, legte es im rechten Winkel zur Kante seines Schreibtischs und füllte es mit seiner kleinen, peniblen Handschrift aus. Nachdem er den Streifen in meinen Pass geheftet hatte, presste er einen Stempel auf ein Stempelkissen, drückte den Stempel auf eine Stelle neben dem Formular und fügte der Liste der Länder, in die ich einreisen durfte, in zierlicher Schrift den Namen Quillia hinzu. Französische Bürokraten sind berüchtigt für ihre manische Exaktheit und eiskalte Effizienz. Verglichen mit diesem Mann hier sind sie alle Amateure.
    Als ich in die brodelnde Vier-Uhr-Nachmittags-Hitze hinaustrat, nahm ich an, dass R. B. mich erwartete, aber er war nicht da. Abgeholt wurde ich von Samuel, dem Hausmeister und Mädchen für alles, einem kräftigen, gutgebauten, außerordentlich gutaussehenden jungen Mann von etwa dreißig Jahren - mit außerordentlich schwarzer Haut, was darauf hindeutet, dass er nicht von jenen schottischen Matrosen abstammt, die hier im 18. Jahrhundert gestrandet waren. Nach meiner Begegnung mit den distanzierten und schweigsamen Männern im Terminal war ich froh, wieder von jemandem angelächelt zu werden.
    Mir wurde bald klar, warum man die Aufgabe, mich nach Moon Hill zu begleiten, Samuel übertragen hatte. Die ersten zehn Minuten legten wir im Auto zurück, was mich zu der Annahme führte, wir würden den ganzen Weg zum Haus fahren, aber dann hielt Samuel an, und den Rest der Strecke - soll heißen, den größten Teil der Strecke, die gute Stunde, die noch vor uns lag - wurde zu Fuß absolviert. Es war ein anstrengender Marsch, ein qualvolles Gekraxel einen steilen, von Wurzeln überwucherten Pfad hinauf, das an meinen Kräften zehrte und mich schon nach fünf Minuten keuchend nach Luft ringen ließ. Ich bin ein Mensch, der in Bibliotheken sitzt, eine dreiundfünfzig Jahre alte Frau, die zu viele Zigaretten raucht und zwanzig Pfund mehr auf die Waage bringt, als sie sollte, und mein Körper ist solchen Strapazen nicht gewachsen. Ich schämte mich sehr: für meine Schwäche, für den Schweiß, der mir aus allen Poren strömte und meine Kleider durchnässte, für die Moskitoschwärme, die mir um den Kopf tanzten, für meine wiederholten Bitten, haltzumachen und auszuruhen, für die rutschigen Sohlen meiner Sandalen, die mich nicht einmal, nicht zweimal, sondern immer und immer wieder ins Straucheln brachten. Aber noch schlimmer, weitaus schlimmer als diese unbedeutenden körperlichen Unzulänglichkeiten war die Schmach, Samuel vor mir zu beobachten, die Schmach, Samuel mit meinem Koffer auf dem Kopf vor mir zu sehen, mit meinem zu schweren Koffer, überladen mit dem Gewicht zu vieler unnötiger Bücher, und wie hätte ich in diesem Bild eines Schwarzen, der die Sachen einer Weißen auf dem Kopf trägt, nicht die Schrecken der kolonialen Vergangenheit

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