Unsichtbar
Wildpflanzen), der vulkanische Boden jedoch mit Felsgeröll bedeckt. Landkrabben kriechen durch seinen Garten (er beschreibt sie als winzige Panzerfahrzeuge, prähistorische Wesen, die aussehen, als kämen sie vom Mond), und wegen der häufigen Moskitoplagen, ganz zu schweigen von der ständigen Bedrohung durch Taranteln, sind alle Betten im Haus mit weißen Schutznetzen versehen. Er verbringt seine Tage mit Lesen (in den letzten Monaten hat er sich wieder einmal ausgiebig mit Montaigne beschäftigt) und mit dem Sammeln von Notizen für seine Memoiren, die er in naher Zukunft niederzuschreiben gedenkt. Jeden Abend legt er sich in seine Hängematte am Fenster des Wohnzimmers und filmt den Sonnenuntergang, den er das erstaunlichste Spektakel auf Erden nennt.
Mein Brief habe ihn mit ungeheurer Wehmut erfüllt, schreibt er, und jetzt bereue er, sich aus meinem Leben zurückgezogen zu haben. Wir seien einander einmal so nah gewesen, so gute Freunde, aber nachdem er und meine Mutter sich getrennt hätten, habe er sich nicht mehr berechtigt gefühlt, mit mir in Verbindung zu bleiben. Jetzt, da das Eis wieder gebrochen sei, sei er fest entschlossen, die Korrespondenz mit mir aufrechtzuerhalten - vorausgesetzt, dass auch mir daran gelegen sei.
Die Nachricht vom Tode meines Mannes habe ihn bestürzt, ebenso habe ihn bestürzt, von den Schwierigkeiten zu erfahren, in die ich in letzter Zeit geraten sei. Aber Sie sind noch jung, fügt er hinzu, gerade erst Anfang fünfzig, das heißt, Sie haben noch viel vor sich und dürfen die Hoffnung nicht aufgeben.
Das mögen banale, abgedroschene Bemerkungen sein, aber ich spüre doch, dass er es gut meint, und wie käme ich dazu, gutgemeinte Gesten ernsthaften Mitgefühls zu verschmähen? Die Wahrheit ist, dass ich gerührt bin.
Dann eine plötzliche Eingebung. Warum ihn nicht besuchen? Die Ferienzeit nahe, schreibt er, und ein kleiner Ausflug auf die Westindischen Inseln könnte mir vielleicht guttun? Er habe mehrere Gästezimmer in seinem Haus, die Unterbringung wäre also kein Problem. Wie glücklich es ihn machen würde, mich wiederzusehen, nach so vielen Jahren ein wenig Zeit mit mir zu verbringen. Für den Fall, dass ich interessiert sei, schreibe er mir seine Telefonnummer auf.
Bin ich interessiert? Schwer zu sagen.
12. 5. Informationen zu Quillia sind kaum zu finden. Im Internet habe ich lediglich zwei kurze, oberflächliche Darstellungen und ein paar Angaben für Touristen gefunden. Letztere sind grauenhaft geschrieben, banal bis zur Absurdität: die strahlende Sonne ... die herrlichen Strände ... das blaueste blaue Wasser unter dem Himmel.
Ich sitze jetzt in der Bibliothek, aber wie sich zeigt, gibt es keine Bücher speziell zu Quillia - nur einzelne Hinweise in umfangreicheren Werken über diese Region. In präkolumbischen Zeiten war die Insel von Ciboney-Indianern bewohnt, die später abwanderten und von den Arawaks verdrängt wurden, denen wiederum die Kariben folgten. Als im 16. Jahrhundert die Kolonisierung begann, interessierten sich Holländer, Franzosen und Engländer für die Insel. Es gab Gefechte mit den Indianern, Gefechte zwischen den Europäern, und als die ersten schwarzen Sklaven aus Afrika kamen, folgten etliche blutige Gemetzel. Im 18. Jahrhundert wurde die Insel zur neutralen Zone erklärt und von Franzosen und Engländern gleichermaßen ausgebeutet, aber nach dem Siebenjährigen Krieg und dem Vertrag von Paris zogen die Franzosen ab, und Quillia fiel unter die Herrschaft des Britischen Weltreichs. 1979 wurde die Insel unabhängig.
Sieben Kilometer Durchmesser. Ein bisschen Landwirtschaft für den Eigenbedarf, Fischerei, Bootsbau. Pro Jahr darf ein einziger Wal gefangen werden. Dreieinhalbtausend Einwohner - hauptsächlich afrikanischer Abstammung, aber auch Kariben, Engländer, Iren, Schotten, Asiaten und Portugiesen. Ein Buch weiß zu berichten, im 18. Jahrhundert sei ein großes Kontingent schottischer Seeleute auf Quillia gestrandet. Da sie keine Möglichkeit hatten, nach Hause zurückzukehren, wurden sie dort sesshaft und vermischten sich mit den Schwarzen. Zwei Jahrhunderte später ist das Ergebnis dieser Kreuzung eine eigenartige Mischrasse aus rothaarigen Afrikanern, blauäugigen Afrikanern und Albino-Afrikanern. Der Autor bemerkt dazu: Die Insel ist ein Laboratorium menschlicher Möglichkeiten. Sie sprengt unsere starren, vorgefassten Vorstellungen von Rassen - und zerstört vielleicht sogar den Begriff der Rasse als solchen.
Ein hübscher
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