Unsichtbare Blicke
je.
«Wir kommen der Sache näher», eröffnete Stella die Besprechung, was Winterstein mit einer hochgezogenen Augenbraue quittierte. Obwohl er im engeren Sinne mit den Ermittlungen nichts zu tun hatte, verpasste er keine Sitzung.
Nachdem sie einen Überblick zum Stand der Ermittlungen, besonders zu der Sache um die leibliche Mutter von Josie gegeben hatte, verteilte sie die Arbeitsaufträge.
«Wir suchen einen eher großen Mann, wahrscheinlich zwischen 35 und 45 , hellhäutig, blond, dem ein Daumen und ein Zeigefinger fehlen, das dürfte jemand in Erinnerung geblieben sein. Wir fangen bei dem Hotel in Gera an, vielleicht gibt es noch den ein oder anderen im Personal, der vor 2009 schon dort gearbeitet hat. Gästelisten, welche Veranstaltungen gab es und so weiter. Ich werde die Kollegen in Gera briefen. Schwieriger wird’s vielleicht bei dem Sanitätsdienst auf dem Konzert, das soll Muthaus machen, der ist penetrant genug. Vielleicht gibt es noch Einsatzpläne in irgendeinem Keller. Johanniter, Malteser, Rotes Kreuz – checke alle.»
Petra Kronen war schon morgens mit dem ersten Flieger nach Berlin gestartet, um Mareike Sonntag aufzusuchen und mit ihr die Fahrtroute zu rekonstruieren, die sie in der Nacht nach dem Konzert von Bamberg nach Coburg genommen hatte.
«Haben Sie was Neues, Kluschke?», gab Stella das Wort an den IT -Spezialisten weiter. «Wo ist Pettersson?»
«Der arbeitet», antwortete Kluschke. «Wir haben auf dem PC der Nonnen ein bisschen was gefunden.»
«Wären Sie so gnädig, uns das näher zu beschreiben?», mengte Winterstein sich genervt ein.
Es war bekannt, dass ihm die Computerfreaks suspekt waren. Man brauchte sie mittlerweile in jedem Fall, aber der Mann am Rande der Pensionsgrenze durchschaute nicht, was sie da wirklich taten, wenn sie in ihren Tastaturen hackten.
«Ich hoffe, euer
bisschen was
ist mehr als ein bisschen was?», fragte Stella.
«Er hat ein paarmal in Internetcafés mit ihr gechattet.» Kluschke schnipste den Verschluss einer Coladose auf; mit der anderen Hand tippte er auf seinem Notebook herum.
«Und?», fragte Stella.
«Am Tag vor ihrem Verschwinden hat Josie mit ihm getickert, vom PC der Nonnen.» Nach einem Schluck aus der Dose fuhr er fort. «Unser Mann muss da in Düsseldorf gewesen sein. Cyberwalk heißt der Laden, direkt am Bahnhof. Es gibt Überwachungskameras, seit es dort mehrmals Schlägereien gegeben hat. Das hier ist der Typ.»
Kluschke genoss die plötzliche Stille im Raum. Stella warf ihm eine Kusshand zu, die er mit gespielter Übertreibung auffing. Er drehte sein Notebook aufreizend langsam um, bis alle das Video sehen konnten. Nachdem er auf Vollbilddarstellung gewechselt hatte, klickte er auf
Play
, der Film startete.
Die Qualität ließ zu wünschen übrig, das grünstichige Bild flackerte immer wieder, an einem von vier Internetterminals saß ein Mann. Die Kamera nahm ihn von schräg hinten auf. Er trug eine Baseballkappe. Es schauten keine Haare darunter hervor. Helle Jacke mit Kapuze, Jeans, die Schuhe wurden vom Tisch verdeckt. Das Geschehen auf dem Bildschirm war vage zu erkennen, auf jeden Fall befand er sich eindeutig auf dem Chatattack 4 U-Portal, das Logo des Anbieters war unverwechselbar.
«Pettersson versucht immer noch, die Sache sauberer hinzukriegen.»
«Und wer sagt uns, dass der Mann unser Täter ist?», fragte Winterstein.
«Niemand, vielleicht ist es auch nicht unser Täter. Das da sagt uns nicht mal, ob es ein Mann ist. Könnte auch eine kräftige Frau sein. Aber es ist die Person, die mit Josie gechattet hat, als das Mädchen sich eigentlich um die Senioren in ihrem fürstlichen Dings kümmern sollte. Datum, Uhrzeit – alles stimmt auf die Minute überein. Das ist Geronimo.»
«Haben wir ihn auch noch von vorne?», fragte Stella.
«Nicht auf diesem Band.» Kluschke schien sich aus der Salami-Taktik einen Spaß zu machen.
«Kluschke!» Stella erhob die Stimme ein wenig. «Gibt es noch andere Bänder?»
«Jau», rückte Kluschke nun raus und wechselte in eine andere Datei. Sie hatten sämtliche Bänder sowohl des Bahnhofs als auch der drei nächstgelegenen Parkhäuser im Zeitraum von zwei Stunden nach Beendigung des Chats besorgt und gesichtet. «Wenn er aufs Fahrrad gestiegen wäre, wären wir angeschmiert gewesen. Ist er aber nicht.»
In einem Zusammenschnitt führte er eine Folge von Aufnahmen, die ohne Zweifel den Mann mit der Baseballkappe zeigten, vor: beim Betreten des Parkhauses, am Kassenautomaten
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