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Unsichtbare Blicke

Unsichtbare Blicke

Titel: Unsichtbare Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Maria Reifenberg
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verdrehte demnächst den Mädchen an der Schauspielschule den Kopf. Ihr eigener Trip nach Italien hätte damals auch ein anderes Ende nehmen können.
    «Am nächsten Morgen stand Lena schon unter der Dusche. Wahrscheinlich dachte sie, ich merke nichts. Später hat sie mir gesagt, es habe an diesem Dings mit ihren Sinnen zu tun. Sie spürt Gerüche, und Töne haben Farben für sie, so eine Fehlsache, Fehlfunktion im Gehirn. Sein Geruch sei einfach so gewesen, ich weiß nicht, und sie hatte ja auch einiges getrunken.»
    «Sie litt unter Synästhesie?»
    «Ja, so heißt das, glaube ich.»
    Josie. Sinnesverwirrungen. Wochentage als Ellipse.
    «Aber warum hat Lena sich so viele Jahre später von einer Tankstelle aus so plötzlich bei Ihnen gemeldet?»
    «Sie wollte den Namen von dem Kerl wissen. Sie dachte, ich könnte mich daran erinnern.»
    Stella atmete tief durch und warf Saito einen verheißungsvollen Blick zu. Ihre Zuversicht wurde aber sofort gedämpft.
    «Konnte ich aber nicht, nicht so richtig. Sie hatte schließlich mit ihm gevögelt, nicht ich. Aber ihr sonst so überbegabtes Hirn hat ihn wohl fett schwarz überpinselt.»
    Stella blätterte in der Akte; ihre Blicke flogen über die Papiere. Die Aussage war als Gedankenprotokoll, nicht wortgetreu aufgeschrieben worden. Vom Inhalt des Telefonats war nichts zu finden. Von all dem, was Mareike Sonntag gerade gesagt hatte, stand absolut nichts in den Notizen. Sie machte Mareike Sonntag darauf aufmerksam.
    Die Sängerin druckste ein wenig herum. «Hören Sie, bei mir lief es damals nicht so gut, ich war am Ende, diese Arbeit nachts und die Kinder und ich … ich hatte Ärger mit Drogen. Als der Typ von der Polizei da war, saß nebenan mein Dealer und machte mir die Hölle heiß, weil ich nicht zahlen konnte, und dann habe ich einfach dafür gesorgt, dass dieser Wachtmeister schnell aus der Tür war.»
    «Ihre Freundin …»
    «Ehemalige Freundin!»
    «Wie auch immer, eine Frau war verschwunden und Sie …»
    «Herrgott noch mal, jetzt kommen Sie mir doch nicht so! Ich war drauf wie Hölle, ich bin danach für fast ein Jahr durch den Entzug geschleudert und eine Therapie und musste ständig Angst haben, dass sie mir die Kinder wegnehmen. Und das Milchgesicht von Polizist hat auch nicht weiter gefragt.» Sie schwieg einen Moment. «Ich glaube, er hieß Daniel, der Typ mit dem Teich. Oder David. Dennis, was weiß ich. Ich hatte mir doch kein Kind von ihm machen lassen, verdammt.»
    «Schon gut», beruhigte Stella die Frau, die sich immer weiter in ihre Entschuldigungen hineinsteigerte.
    Wahrscheinlich war ihr tatsächlich kein großer Vorwurf zu machen. Leute verschwanden und tauchten auf, und irgendeine Dienststelle in Neukölln hatte sich vielleicht gerade wieder mit einer Messerstecherei in einer Schule herumzuschlagen gehabt.
    Sie notierte sich noch die Angaben von Mareike Sonntag zu der Strecke, die sie in der Nacht nach dem Konzert gefahren waren. Genaues konnte sie nicht sagen, aber immerhin ließ sich das Gebiet eingrenzen.
    «Gibt es noch irgendetwas, das uns helfen könnte?», schloss Stella das Gespräch ab.
    «Dem Typ fehlten zwei Finger, ausgerechnet der Daumen und der Zeigefinger.»
    Saito, der still zugehört hatte, ballte die Faust; ein unterdrücktes «Bingo!» zischte zwischen seinen Zähnen hervor. Stella lächelte. Männer, denen gerade diese Gliedmaßen abhandengekommen waren, gab es mit Sicherheit nicht wie Sand am Meer.

13 . Mai 2009
    Er hatte sie nicht schlagen wollen. Warum hatte er das getan? Er wusste es nicht. Die Begegnung mit ihr, nur der Klang ihrer Stimme hatte mit einem Mal Gefühle in ihm ausgelöst, nein, keine Gefühle, etwas anderes, es gab kein richtiges Wort dafür.
    Das Gefühl, als der Damm gebrochen war, hatte ihn wie ein Stromschlag durchzogen, spitz, scharf in allen Nervenenden von winzigen Blitzen gekrönt, nicht länger, als man die Finger auf eine heiße Herdplatte legte, um dann zurückzuzucken und zu spüren, wie dieser erste Stich des Schmerzes verebbte.
    Eine gewaltige Kraft hatte sich formiert, und er hatte für einen kurzen Moment, einen Herzschlag oder zwei, die Kontrolle über sich verloren. All die Jahre hatte er es zähmen können, er hatte die Ströme, die giftig blubbernden Ströme von Substanzen, die niemals zusammenkommen durften, trennen können. Wie in einem Kreislauf, in dem Gallen und Blut und andere Säfte sich nicht vermischen durften, weil sie alles vergifteten.
    Nachdem sie sich von den Männern

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