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Unsichtbare Blicke

Unsichtbare Blicke

Titel: Unsichtbare Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Maria Reifenberg
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«Tja,
wir
wissen über unsere Leute hier Bescheid, Frau van Wahden.»
    Der Cordanzug entschuldigte sich mehrmals, scheinheilig, wie Stella fand, aber was er zu sagen hatte, krönte diesen frühen Montagmorgen, bevor er überhaupt in Gang gekommen war. «Ich suche für einige meiner Mandanten schon lange einen Mann, der sich hinter dem Namen
Geronimo
versteckt, eigentlich wissen wir längst, dass Klaus Dieter Welz diesen Decknamen als inoffizieller Mitarbeiter des MfS benutzte, nur Welz war verschwunden.»
    «Horst Sonnleitner ist Geronimo?», fragte Stella.
    «Klaus Dieter Welz war IM Geronimo, das ist so gut wie sicher.»
    «Heilige Scheiße», raunte jemand im Hintergrund.
    Es wird kompliziert, dachte Stella. Ihr Versuch, völlig kühl und unberührt zu bleiben, zumindest äußerlich, misslang. Wintersteins finstere Miene hellte sich auf.
    «Bekanntermaßen lösen sich achtzig Prozent der Fälle im näheren und nächsten sozialen Umfeld der Opfer», warf er voller Genugtuung in den Raum.
    «Bekanntermaßen hat Horst Sonnleitner oder Klaus Dieter Welz nichts mit Tania Stecker und Celine Morgenthau zu tun, und ich erkenne keinen Grund, warum er Josie verschwinden lassen sollte», giftete Stella.
    «Weil Sie sich in Ihrer Theorie vom großen Unbekannten verbissen haben.» Wintersteins Zufriedenheit wuchs mit jedem Wort. «Das passiert jedem Ermittler, Frau van Wahden, selbst den besten, zu enger Blick auf eine Hypothese, nur Fakten wahrnehmen …»
    Stella ignorierte ihn und wandte sich dem Anwalt zu: «Ich möchte Sie in meinem Büro sprechen, Herr Stenzel.»

45
    Er beobachtete sie nun schon einige Tage. Sie war genau so widerspenstig wie ihre Mutter.
    Kein Wort wechselte das Mädchen mit ihm, obwohl er versuchte, alles so gut wie möglich für sie einzurichten. Er hatte ihr noch ein paar Bücher besorgt, Musik, einen CD -Player. Nichts rührte sie an, außer den Sachen, die er am ersten Tag aus ihrem alten Zimmer mitgenommen hatte und auch nur den einen Roman, aus dem sie laut vorlas.
    Das wünschte er sich, er stellte sich vor, dass dies ihr Ritual würde, sich gegenseitig vorlesen.
    «Ich genieße die Vorlesestunden mit dir wie nichts sonst», würde er zu ihr sagen.
    Was er alles verpasst hatte! Wie schön es gewesen wäre, wenn er sie schon immer bei sich gehabt hätte. Sie hätte die Stunden geliebt, wenn er an ihrem Bett gesessen hätte, um Bilderbücher mit ihr anzuschauen, später, als sie schon in den Kindergarten gegangen war, hätte er ihr dann auch vorgelesen. «Lass uns von Bo lesen», hätte sie gerufen, «er ist kein Lumpenkind, oder? Nein, alles war falsch, und wir werden mit Jum-Jum kämpfen und Vaters Reich befreien.»
    Er schaltete den Lautsprecher an. Ihre Stimme erklang. Kräftig und klar vernehmbar las sie.
    «… genug hatte, gefiel es in diesem ruhigen Haus, und sie blieb sogar noch bis Ostern, um dem bissigen Spott von Vater Bovary zu entkommen, der es nicht versäumte, jeden Karfreitag eine Kaldaunenwurst zu verlangen …»
    Mit langsamen Schritten umrundete sie den Raum ein ums andere Mal. Wenn sie ein Einsehen hatte, würde er bald Spaziergänge mit ihr machen, draußen, im Wald, das hatte er ihr schon versprochen, aber im Augenblick war es nicht so weit, nein, sie brauchte noch Zeit.
    «… zu Besuch; Justin begleitete sie. Er kam mit ihnen ins Zimmer herauf und blieb reglos und ohne etwas zu sagen neben der Tür stehen. Häufig machte sich Madame Bovary sogar zurecht, ohne auf ihn zu achten …»
    Er schaute auf die Uhr. Es war an der Zeit. Das Tablett mit dem Mittagessen stand bereit. Er trug es zu ihr hinüber. Ihre Stimme verklang im selben Moment, in dem er den Schlüssel ins Schloss steckte.
    «Josie, es ist so weit. Tritt bitte von der Tür zurück und setz dich aufs Bett.»
    Er wusste, dass sie ihm gehorchte, obwohl es ihn wunderte. Eigentlich hatte er mehr Widerstand von ihr erwartet, genau wie bei ihrer Mutter, am Anfang.
    Tania hatte geschrien, aber es nicht gewagt, der Tür näher zu kommen. Bei Celine hätte er darauf gefasst sein müssen, dass sie sich etwas antat; sie war von der ersten Minute in sich zurückgezogen, hatte die Sicherheit des Sessels gesucht und ihn nur für die Gänge zur Toilette verlassen.
    Wie immer saß Josie nun auf der Bettkante; keines Blickes würdigte sie ihn. Er stellte das Tablett ab, platzierte den Teller, den Becher und die Schale mit dem Obstsalat auf dem Tisch und goss ihr Tee ein. Das Campinggeschirr hatte er in sieben Farbtönen im

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