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Unsichtbare Blicke

Unsichtbare Blicke

Titel: Unsichtbare Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Maria Reifenberg
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seit der elften Klasse gepredigt. Für meine Pläne hatte sie kein Verständnis, singen, so ein Quatsch, ich würde beim Sozialamt enden.»
    Ein bitterer Ton mischte sich unter ihre Worte. Stella hörte, wie sie sich eine Zigarette anzündete, einen tiefen Zug nahm und zu scherzen versuchte.
    «Sie hat nicht ganz unrecht behalten, damals gab es noch kein Hartz  IV , da ging man noch zum Sozialamt.» Wieder saugte sie das Nikotin tief in ihre Lunge und stieß den Rauch aus.
    Stella überlegte einen kurzen Moment, ob sie die nächste Frage stellen sollte. «Hatte es etwas mit dem Kind zu tun, das Lena kurz nach der Schule zur Welt gebracht hat?»
    Ein langes Schweigen breitete sich am anderen Ende aus. Nur die entfernten Klänge eines Kinderliedes, das Timon irgendwo in der Wohnung sang, waren zu hören.
    «Frau Sonntag?»
    «Ich habe ihr versprochen, niemals ein Wort darüber zu verlieren. Niemals», sagte Mareike Sonntag. «Und was hat das mit Lenas Verschwinden zu tun?»
    «Ich weiß es nicht, um ehrlich zu sein. Ich weiß nur, dass Lena Zusak verschwunden ist und ihre Tochter auch. Zwei Mädchen sind tot, ein weiteres liegt im Koma …»
    «Es geht um den Killer, über den jetzt alle reden? Der überall in den Nachrichten ist?»
    Dazu gab Stella keinen Kommentar. «Wie wirkte Frau Zusak auf Sie bei diesem Gespräch?»
    «Sauer, irgendwie sauer. Eisig und sauer, ich dachte noch, dass der herrische Zug, den sie schon in der Schule hatte, volle Kanne durchgestoßen sein muss, aber, wie gesagt, wir haben ja nur ein paar Worte gewechselt.»
    «Wie hat Lena es damals hingekriegt, dass keiner etwas von der Schwangerschaft gemerkt hat?»
    «Sie war immer sportlich und drahtig und hatte Glück. Ist nicht auseinandergegangen wie ich. Anfangs hat sie es selbst nicht gecheckt oder verdrängt, ich meine, so was muss man doch merken, hallo? Ich glaube, sie wollte das nicht wahrhaben. Der großartigen Lena passiert so ein Mist nicht, und dann war es zu spät. Niemand hätte diese Sache kurz vor dem Schulabschluss so durchgezogen, während der Englisch-Klausur hat sie die Hälfte der Zeit über der Kloschüssel gehangen, stellen Sie sich das vor, und im gesamten Abi war das dann nachher ihre beste Note. Und dann sind wir zu meiner Schwester nach Berlin, ich wollte sowieso da hin, weil ich mich an der Schauspielschule beworben hatte. Ich glaube, ihre Eltern wissen das bis heute nicht. Ich hab versucht, es ihr auszureden, aber da war nichts zu machen. Mit dem Kind hätte sie die Sache in den USA knicken können, und das kam nicht in Frage.»
    «Wissen Sie, wer der Vater ist?»
    «Keine Ahnung», antwortete Mareike Sonntag.
    «Hatte Lena viele Kontakte?»
    «Sie meinen, ob sie rumgevögelt hat? Wir waren siebzehn und haben auf einem Dorf gelebt.»
    «Da kann man auch Sex haben.»
    «Ein Typ aus der Nachbardorf war hinter ihr her, ich weiß nicht, ob da was war. Ich glaub, der hat sich noch vor den mündlichen Prüfungen mit dem Moped gewickelt, hat alle geschockt, ist aus dem Koma nicht mehr zurückgekommen. Ein paar Flirts hatte sie, ja, aber fest gegangen ist sie mit keinem.»
    «Von ein paar Flirts wird man nicht schwanger.»
    «Es gab mal so eine Sache auf einem Konzert, so ein kleines Festival. Nachher hat sie auf den Typ geschimpft wie ein Rohrspatz, darin war sie groß, sich ein Kind andrehen lassen, aber über den Typ herziehen. Der war gar nicht so übel, ein bisschen schräg, aber eigentlich ganz hübsch.»
    «Wo fand das Konzert statt?»
    «In Bamberg. Auf der Rückfahrt haben wir kurz hinter, wie heißt das noch, wie die Versicherung, wissen Sie, diese Werbung. Der hübsche Typ mit dem Schild, wie so ein Ritter, Versicherung eben, fürs Auto.»
    « HUK -Coburg?», fragte Stella.
    «Genau, Coburg! Da haben wir einen Typ aufgegabelt, mit einer Fahrradpanne. Lena wollte ihn unbedingt mitnehmen. Irgendwie ein netter Typ, und wir hatten es nicht eilig, und am Ende hat er uns seine Hütte, also eigentlich war die von seinen Eltern, aber die waren im Urlaub, er hat uns also die Hütte gezeigt und seinen Teich. Da haben wir dann übernachtet, in der Hütte.»
    «Sie sind mit einem Wildfremden in sein Haus gegangen?»
    «Er war beim Roten Kreuz oder so, hatte Dienst auf dem Konzert gehabt, sagte er, da haben wir uns nichts gedacht, man macht halt schon mal so Sachen.»
    Ja, dachte Stella, und wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. So Sachen. Die Frucht von so Sachen war jetzt ein hübscher junger Mann und

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