Unsichtbare Blicke
Baumarkt gekauft, er gab ihr jeden Tag ein anderes Set, um wenigstens hier für ein bisschen Abwechslung zu sorgen.
Als sie ihm damals das Essen gebracht hatten, gab es anfangs Blechnäpfe, später dann ebenfalls Plaste und Elaste, weil einer der Jungs sich aus dem Teller einen Dolch gebaut und einer Wärterin damit den Arm aufgeschlitzt hatte.
Nach dem Unfall mit Celine war nun auch er vorsichtiger geworden. Solange er sie alleine lassen musste, bekam sie ausschließlich Gegenstände, mit denen sie sich oder ihn nicht verletzen konnte.
Die Tortellini verschlang Josie mit derselben Gier wie die anderen Mahlzeiten auch. Seine Anwesenheit schien sie nicht zu stören. Die Käsesoße tropfte an ihrem Kinn hinunter. Er reichte ihr eine Serviette, neutral, rot und weiß gestreift, keines des Kindermotive, die er in der Hand gehabt, aber dann doch wieder weggelegt hatte. Sie war zu alt für so etwas. Die Serviette nahm sie erst, als er sie neben den Teller gelegt hatte.
«Ich würde dir gerne andere Speisen bringen, was du dir wünschst, aber dafür müsstest du mit mir sprechen, mein Kind.»
Bei diesem Satz behielt sie den letzten Löffel Nudeln zwei Sekunden im Mund. Wenn sie ihn nun anspuckte, war das wenigstens eine Reaktion, ein kleiner Kontakt, fast schon der Beginn eines Dialogs!
Sie schluckte und machte sich über die Früchte her.
Er lächelte, wartete, bis sie aufgegessen hatte, dann ging er.
Eine Stunde später betrat er den Raum noch einmal. Er stellte eine Chemietoilette in die Ecke, fünf 1 , 5 -Liter-Flaschen Wasser, und einen Vorrat an verpackten Sandwiches, Obst und Keksen platzierte er auf dem Nachttisch neben dem Bett.
«Ich bin ein paar Tage weg», sagte er. «Du musst dir keine Sorgen machen, du wirst Licht und Luft haben. Versuche nicht, rauszukommen. Hier kommt niemand raus.»
Er spürte, welche Härte seine Stimme angenommen hatte. Ihm lief selbst ein Schauer über den Rücken. Es klang wie damals, nur dass nicht von Licht und Luft und schon gar nicht von Essen und Trinken die Rede gewesen war.
«Jetzt mach bitte den Mund auf.»
Sie weigerte sich. Er hatte sie seit ihrem Einzug nicht angefasst. Wenn sie kein Einsehen hatte, musste er es mit Gewalt tun.
«Mach den Mund auf.»
Sie gehorchte nicht. Dieses eine Mal musste sie es aber. Er drückte ihr mit einem Griff zwischen den Unter- und Oberkiefer die Lippen auseinander, schabte mit dem Wattestäbchen ein bisschen auf ihrer Zunge herum und steckte die Speichelprobe in das Röhrchen.
46
Stella wartete. Wenn sie etwas hasste, dann war es untätiges Warten. Warten. Auf Muthaus und Kronen und die Ergebnisse ihrer Recherchen. Und auf Felix Diuso. Der hatte ihr einen gehörigen Strich durch die Rechnung gemacht und Winterstein weiteres Wasser auf die Mühlen gegeben.
Sie blätterte den Bericht der Rotterdamer Polizei durch. Sie telefonierte mit der deutschen Polizistin, die in der holländischen Klinik an Sarahs Bett saß. Nichts. Sarah lag im künstlichen Koma, und die Ärzte hatten unmissverständlich in zwei Sprachen klargemacht: Auf keinen Fall würden sie daran etwas ändern, bis sie es aus rein medizinischen Erwägungen und im Interesse des Mädchens verantworten konnten. Und wenn sie aufwache, sei nicht sicher, ob sie sich erinnern oder auch nur mit der Wimper zucken könne.
«Gehen Sie nicht weg», wies Stella die Kollegin an. «Ich schicke Ihnen jemand, mit dem Sie sich abwechseln können.»
Sie schaute sich zum x-ten Mal die bunten Linien der DNA -Analyse auf dem Bildschirm ihres Computers an. Die Übereinstimmung war unübersehbar, und sie war gespannt, was Felix Diuso dazu sagen würde. Wenn Saito ihn aufgetrieben hatte.
Stella nahm sich die Bilder von Josie und Felix im Spreewald vor. Unabhängig von der Aussage des jungen Mannes würden diese Fotos eine Rolle spielen, dessen war sie sich ganz sicher. Sie musste ihre Gedanken sortieren. Die nächste Lagebesprechung fand in gut drei Stunden statt. Muthaus’ Recherchen waren eindeutig, auch Petra Kronen hatte mit Mareike Sonntag in Berlin hervorragende Arbeit geleistet.
Horst Sonnleitner hatte sie allerdings geschlagene zwei Tage gekostet.
Wie dumm musste dieser Mann sein, wenn er geglaubt hatte, sie kämen nicht irgendwann auf seine Vorgeschichte? Wenn er tatsächlich Josies Geronimo war, würfelte das alles durcheinander. Es gab Zeugen, einen ganzen Bus voller frommer Pilger, die ihn fast jede Minute in Tschenstochau bei diversen Andachten und Besichtigungen und
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