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Unsichtbare Blicke

Unsichtbare Blicke

Titel: Unsichtbare Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Maria Reifenberg
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Sarah war, dass sie wirklich an solch einfache Lösungen glaubte; meistens kam sie sogar damit durch. Aber nicht in ihrem Zimmer hatte jemand Tag und Nacht gehockt und ein Auge auf sie geworfen. Oder doch? Wer wusste schon, wie viele Mädchen der Typ im Visier hatte?
    «Was soll ich bloß tun?»
    «Einen Lappen holen und den Matsch da wegwischen.»
    Die ausgelaufene Cola floss um den Kartoffelsalat, der wie eine einsame Sandbank von einer schwarzen See eingeschlossen wurde.
    Ich konnte überhaupt nichts tun. Nicht einmal denken.
    «Du zeigst ihn an.»
    «Bist du verrückt? Soll ich zur Polizei rennen und ihnen die Fotos auf den Tisch legen, hier, das ist mein nackter Hintern, und der da, das ist Felix Diuso, Sie wissen schon, der süße Halbitaliener, mit dem ich auf der Klassenfahrt die erste Gelegenheit genutzt habe, der bumst mich gerade, vielleicht fragen Sie meinen Vater …»
    Mein hysterisches Lachen beendete den Wortschwall, bevor ich die Worte benutzen konnte, die alles im Nachhinein kaputtgemacht, entwertet, in den Dreck gezogen hätten. Das Lachen ging in Tränen über, und selbst Sarah merkte, dass es so einfach nicht war.
    «Hübsche Fotos sind es schon.»
    «Sarah!»
    «Schon gut. Lass mich nachdenken.»
    «Gute Idee.»
    Zuerst verschwand sie jedoch und kam zwei Minuten später mit einem Putzeimer und einer Rolle Küchenpapier zurück. «Ich hoffe, es gibt noch Nachschub.» Sie wischte die fettige Pampe auf, und wir gingen runter in die Küche.
    Ich setzte mich auf die Eckbank und starrte hinaus ins Dunkel.
    «Kennst du ihn vielleicht?», fragte Sarah nach einer Weile. «Ist er vielleicht aus der Gegend, hier aus Dornbusch, geht er mit uns zur Schule?»
    Statt eine Antwort zu geben, sprang ich auf und zerrte panisch an den Vorhängen, die wir sonst nie benutzten. Sie wurden von einer Schlaufe gehalten, sie löste sich nicht sofort, ich riss sie mitsamt dem Messingring, der den festen Stoff hielt, aus der Wand. Die Gardine reichte nicht, sie war nur zur Zierde gedacht, mir war das noch nie aufgefallen. Egal, wie und in welche Richtung ich zog, die Hälfte des Fensters blieb unbedeckt, die Dunkelheit dahinter starrte mich an.
    «Süße? Josie, hallo!»
    Sarah löste meine Finger, mit denen ich mich an das Tuch krallte, bevor die Plastikösen aus der Schiene an der Decke brechen konnten. Mit beiden Armen umfasste sie meinen Oberkörper und drückte mich fest an sich, sie redete beruhigend auf mich ein, dann ließ sie die Rollläden herunter. «Besser so?»
    Ich nickte.
    «Dann setz dich wieder hin. Gibt es irgendetwas in diesem frommen Haus mit ein paar Prozenten?»
    «Bier, im Vorratskeller.»
    «Schaffst du es, zwei Minuten alleine hier zu bleiben?»
    Ich nickte.
    «Gut.»
    Sarah flitzte aus der Küche. Ich hörte den Schrei, als sie sich den Kopf am niedrigen Abgang zum Keller stieß. Gleich darauf stand sie wieder vor mir. Eine Flasche Pils hielt sie sich an die Stirn. «Das gibt ein Horn.»
    «Sorry», flüsterte ich.
    «Dafür killen wir dich», zischte sie die zweite Flasche an, öffnete beide und hielt mir eine hin. «Prost.»
    Alkohol war nicht meine Sache, Bier schon gar nicht. Trotzdem nahm ich ein paar kräftige Schlucke aus der Flasche, bis mir der Schaum in die Nase stieg und ich sie prustend absetzte. Sarah hockte sich vor mich.
    «Er sitzt zu Hause an seinem PC , er steht nicht vor der Tür, okay? Das war eine dämliche Frage eben, sorry, tut mir leid, okay?»
    Ich nickte.
    «Es ist egal, wo er ist. Wir müssen uns die Fotos holen, darum geht es.»
    Auch das beruhigte mich nicht gerade. Fast wünschte ich mir nun, dass es einer der Internetsüchtigen aus unserer Jahrgangsstufe war, Kevin oder wer auch immer; einer, zu dem wir hingehen konnten, hey, Arschloch sagen und ihm sonst was zwischen die Beine rammen. Ich spürte, wie das Bier die Gedanken in mir lockerte. Ich nahm noch einen kräftigen Schluck.
    «Du musst ihn aus deinem Zimmer werfen, aber gleichzeitig den Kontakt halten, bis wir wissen, wer er ist und wo er ist.»
    «Wie sollen wir das denn machen? Soll ich in der Informatik- AG mal rumfragen, ob vielleicht ein paar Hacker kurz aushelfen könnten?»
    «Quatsch, natürlich nicht. Wir fragen Rotter.»
    «Rotter? Sarah, nein …»
    «Komm schon, der ist nicht so schlimm, wie du denkst. Wir gehen gemeinsam hin, bringen ihm deinen Computer.»
    Der Gedanke bereitete mir Übelkeit. Vielleicht war es aber auch die Wirkung des Bieres. Ich hatte seit zwei Tagen kaum etwas gegessen, heute

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