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Unsichtbare Blicke

Unsichtbare Blicke

Titel: Unsichtbare Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Maria Reifenberg
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falsche Antwort.
    «was soll das, ich meins ernst.»
    Josie schrieb auch beim Chatten niemals alles klein.
    Er summte den Refrain des Songs: «Kapitulation, oh oh oh, Kapitulation, oh oh oh …», und schrieb «Wenn du denkst: Fuck it all, wie soll es weitergehen?»
    Ein paarmal plänkelte er noch hin und her; sein Gegenüber wurde immer unruhiger, versuchte aber noch, die nette, kleine Josie zu bleiben. Ihren Eltern traute er es nicht zu. Sonnleitner hätte den Computer hinterm Haus zerhackt und seine Tochter ins Kloster gesteckt. Half ihr das kleine Italokerlchen?
    «Versucht ihr gerade, mich zu orten?», fragte er. «Für wie dämlich haltet ihr mich? Wenn überhaupt, landet ihr auf einem Server hinter Nowosibirsk oder an irgendeinem anderen verpissten Arsch der Welt.»
    Während er die Worte schrieb, brüllte er sie ins Zwielicht, immer wieder, steigerte sich in eine Tirade, die keinerlei Sinn mehr ergab. Es tat gut, die eigene Stimme zu hören, mehr noch, sie zu spüren. Die meisten wussten gar nicht, was ihnen entging, wenn sie ihrem Organ nie freien Lauf ließen, er tat es, er wusste es, aber es beruhigte ihn nicht, wie sonst.
    Sie hatten es wohl gespürt? Sie hatten seine Wut zwischen den Zeilen vibrieren sehen. Auf dem Bildschirm passierte einige Zeit nichts. Er hatte ihnen die Luft genommen.
    Plötzlich bewegte sich etwas auf dem Monitor. Die schmierige, fast schwarze Fläche warf ein paar Lichtfetzen, eine verschwommene Miene schwankte vor der Linse. Jemand hatte die Abdeckung der Kamera entfernt: ein Mädchen, größer als Josie, üppiger und aufgedonnert.
    Obwohl nur die Papierlampe neben dem Hocker eingeschaltet war und alles in ein fahles Gelb tauchte, erkannte er sie. Dem Flittchen hatte sie sich also anvertraut.
    Sie hämmerte etwas in die Tastatur. Die blonden Haare fielen ihr ins Gesicht, aber er brauchte ihre Miene gar nicht zu sehen. Die Heftigkeit, mit der sie die Buchstaben bearbeitete, sprach für sich.
    «wenn du verdammter wichser deine augen nicht von meiner freundin nimmst sorgen wir dafür das sie dir jemand aussticht»
    Ohne Punkt und Komma beschimpfte, bedrohte und verhöhnte sie ihn weiter. Mit jedem Wort amüsierte er sich mehr. Am Ende zeigte sie ihm den Stinkefinger, schrieb weiter, was sie alles tun würden, ja, ja, ja, verlachte er sie, nichts werdet ihr tun, mit mir nicht, für wie dumm haltet ihr mich eigentlich, für wie dumm? Ja, fast dumm genug, aber du musstest online gehen, und ich bin wieder bei ihr drin. Bei Josie. Du Dreckstück sollst verschwinden.
    Im Hintergrund des Bildausschnitts schob jemand die Zimmertür auf, rückwärts mit dem Hintern zuerst. Die Gestalt war kaum zu erkennen, das verwaschene Licht des Reisballons hatte nicht genug Kraft, aber das Mädchen, das sich langsam umdrehte, konnte nur Josie sein.
    Sie balancierte ein Tablett in den Händen, und als sie die Tür mit einem Fuß zuschieben wollte, fiel ihr Blick auf den Monitor, die Kamera, hallo, Josie, deine Freundin ist ein tolles Luder, und sie will Sachen mit mir machen, oh je, oh je.
    «Kapitulieren, oh oh oh, die Füchse im Bau, sie müssen … kapitulieren …», schrie er wieder aus vollem Hals.
    Mit der Maus fuhr er auf das Fenster unten links am Monitor, ein Menü, zigarettenschachtelgroß, öffnete sich. Der Zugang war geschützt, aber er hatte das Passwort sofort parat. Blitzschnell reihte sich eine unendliche Folge von Codes in kleinen grünen Lettern über den Bildschirm, zum Schluss flackerte der Cursor, ein aus, ein aus, ein aus, und fragte
continue? press Y/N
.

27
    «Mach ihn aus, aus, aus!» Ich schrie Sarah an. Sie solle sofort den Computer ausschalten. Ich hatte mir geschworen, dass dieser Mensch, wer auch immer sich hinter Geronimo verbarg, nie, nie wieder in mein Leben blicken sollte.
    Das Tablett kippte aus meiner Hand. Kartoffelsalat, Wiener Würstchen, eine Flasche Cola light, der von Mama angerührte Erdbeerquark, alles kam ins Rutschen.
    «Ich habe ihm die Hölle heißgemacht», verteidigte Sarah sich. «Glaub mir, das sind Wichser, die fallen sofort in sich zusammen, wenn du sie hart angehst.»
    «Sarah, bitte …»
    Ich durchquerte den Raum mit drei großen Schritten und pappte das Pflaster wieder auf die Linse.
    «Glaub mir, das ist wie mit Exhibitionisten, die den Trenchcoat aufreißen und dir ihr Ding zeigen. Zeig mit dem Finger drauf, sag: ‹Da schau, das hab ich aber auch schon größer gesehen›, und lach sie aus! Dann bist du sie los.»
    Das Unschlagbare an

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