Unsichtbare Blicke
Geschäftsbereich.
Der Laden war ein versiffter Schuppen. Rotter konnte sich nur halten, weil es weit und breit keinen anderen Händler gab; zudem zauberte er jedes noch so abwegige Ersatzteil aus übervollen Schubladenschränken und rückte auch nachts um vier noch zum Notdienst aus, was eine Menge Jungs bei ihren Wochenend-Dauersessions in der
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zu schätzen wussten.
Das Hinterzimmer verdiente kaum die Bezeichnung
Büro
. Die rechte Wand bedeckten gewaltige Aktenschränke aus dunklem Holz, die Messingschildchen an den Fächern und Schubladen deuteten darauf hin, dass Rotter sie bei einer ehemaligen Steuer- oder Anwaltskanzlei abgestaubt hatte; alles war durchnummeriert, begann links oben mit A- 001 und endete rechts unten mit Z- 030 .
Maik Rotter saß hinter einem wuchtigen Schreibtisch. Computerzeitschriften stapelten sich darauf, Kartons mit Druckerpatronen, mehrere ausgeweidete PC -Gehäuse und Unmengen von leeren, durchsichtigen DVD -Hüllen türmten sich auf, mindestens zwei überquellende Aschenbecher balancierten darauf.
«Setzt euch.» Rotter zog die Nase hoch. Er war erkältet. «Sorry, bin platt», murrte er und deutete auf ein verschlissenes Sofa aus dunkelgrünem Cord. Es stand auf der linken Seite des Raums. Direkt gegenüber hing ein nagelneuer Fernseher, der jedem Heimkino Ehre gemacht hätte.
Wir blieben stehen. In mir kämpften die Gerüche dieser Höhle, sie erzeugten einfach nur Ekel, schlichten Ekel, der glücklicherweise nicht noch durch irgendwelche Sperenzchen meiner kruden Sinnesverwirrungen aufgeputscht wurde.
Erst nachdem Rotter drei filterlose Zigaretten mit einem kleinen schwarzen Maschinchen gedreht und sich eine angezündet hatte, schaute er auf und fragte, was er tun könne. Heilfroh, dass ich Lara Croft bei mir hatte, überließ ich Sarah das Reden.
Virus, Ärger, unvorsichtig gewesen, Abschlussarbeit in Mathe verloren – sie plapperte fröhlich und vergaß dabei nicht, ihre wahren Argumente in ihrem knappen T-Shirt zu präsentieren. Mir fiel auf, wie wenig Rotter sich dafür interessierte. Er nahm mein Laptop und klappte es auf.
Während er es einschaltete, nuckelte er weiter an der Zigarette, zündete sich die zweite an, rasselte eine Kette von technischen Daten herunter und bestand darauf, dass eigentlich alles in Ordnung sein müsste. «’sch hab das Ging selbst konf’griert», knödelte er über die Zigarette hinweg. Er hustete.
Ich sah, wie Rotz und Spucke auf meine Tastatur spritzten.
Rotter störte es nicht. Er tippte im Zehnfingersystem schneller als jede Chefsekretärin auf den Tasten herum, blickte mir dabei in die Augen und hielt mir einen Vortrag über Internetsicherheit, die natürlich immer relativ sei, wer unbedingt wolle, komme überall rein, und wenn man selbst dämlich genug, ’tschuldigung, so war’s nich’ gemeint, aber wenn man nicht aufpasse, dann habe man eben so alle möglichen dreckigen Luder auf der Platte. Er hustete wieder. Ein Sprühregen verteilte sich auf meinem Bildschirm.
«Ich muss kurz raus», flüsterte ich.
Vor der Tür schaffte ich es gerade noch die drei Stufen vom Laden hinab. Mein Magen krampfte sich zusammen. Ich rannte noch ein paar Schritte zu der Einfahrt, die neben dem Haus nach hinten führte. Ein Volvo Kombi versperrte den Durchgang. Ich stützte mich daran ab, Felix’ Worte gingen mir durch den Kopf, Spießerkarre, Lehrerkarre hatte er mal gesagt, dann erbrach ich das spärliche Frühstück in die Buchsbaumhecke, die das Grundstück zusammen mit einem Maschendrahtzaun abgrenzte.
Ich lehnte mich an den hinteren Kotflügel des Autos. Der Geschmack von Kaffee, Marmelade und Magensäure verteilte sich in meinem Mund.
Ohne jede Vorwarnung schoss plötzlich eine Harke mit drei gebogenen Zacken durch das Gebüsch; eine Sekunde früher, und sie hätte meinen vornübergebeugten Kopf erwischt.
Mit einem Ächzen und ärgerlichem Gebrabbel drückte jemand die Hecke auseinander. Die bösen Blicke einer alten Frau bahnten sich einen Weg durch das grüne Gestrüpp. Sie trug eine Frisierhaube, darunter zeichneten sich Lockenwickler ab.
«Pack, widerliches Pack, das sag ich immer wieder, aber keiner hört auf mich», zeterte sie, «die Polizei, ja, die schick ich dir auf den Hals, jetzt reicht es, deine Kotze lass ich mir nicht auch noch … als ob es nicht reicht, dass du jeden Abend in die Hecke pinkel …» Erst jetzt schien sie zu merken, dass nicht ihr Nachbar den Buchsbaum, der auf ihrer Seite des Zauns
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