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Unsichtbare Blicke

Unsichtbare Blicke

Titel: Unsichtbare Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Maria Reifenberg
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sich nur der neue Bolheim, dieser neue Bolheim also hatte ihn abgefangen und noch einmal in den Bunker geworfen.
    Aber das hatte Tommi nicht die Bohne ausgemacht. Er hatte das Lied von Major Tom gesummt. Er würde warten, bis nach Weihnachten, bis ins neue Jahr, bis zu dem Datum, von dem sie glaubten, es sei sein Geburtstag, der achtzehnte Geburtstag. Und dann würde er los. Rüber.

28
    Ich weiß nicht, warum mich das Verschwinden des Computers mit einer Panik erfüllte, die meinen Magen mit einem sauren Erguss überspülte. Am liebsten hätte ich das Ding in einem Teich versenkt, nun überkam mich aber das Gefühl, das Gerät könnte in fremde Hände gelangen, Geheimnisse preisgeben, Geheimnisse, die schlimmer als Geronimos Fotos waren, Geheimnisse, die ich ihm nie anvertrauen würde, Geheimnisse, die es gar nicht gab. In der Unschärfe zwischen Schlaf und Aufwachen brodelte die Angst in mir.
    Ich rannte die Treppe hinunter ins Erdgeschoss. Auf der letzten Stufe strauchelte ich, knickte zur Seite und riss eines der Fotos von der Wand; der Rahmen zerbrach beim Aufschlag auf den Boden, die Glasscheibe klirrte, als sie in tausend Splitter zersprang, ich schrie auf.
    Aus der Küche hallte das Echo meines entsetzten Rufes. Jemand stieß ebenfalls einen Schrei aus. Die Tür öffnete sich. Stille erfüllte den Flur, das Haus. Der Geruch von verbranntem Kaffee kroch mir über den Rücken.
    Sarah stand in der Tür und schaute auf mich hinab. In der einen Hand hielt sie die Kaffeekanne. «Du hast mir vielleicht einen Schreck eingejagt», sagte sie. «Mir ist eine Tasse auf die Fliesen geknallt.»
    Selbst wenn jemand kurz vorm Heulen und inmitten von Scherben im Flur vor ihr saß, konnte Sarah erst einmal bei sich sein, bei sich, beim Kaffee, bei einer Tasse.
    «Mein Computer …», stammelte ich.
    «Steht in der Küche.»
    «Ich dachte, er wäre weg.»
    «Weg? Wie sollte der weg sein? Meinst du, ich marschiere alleine damit los …»
    «Nein, nein», wehrte ich ab und stand endlich auf. Beim Versuch, mich abzustützen, griff ich mit dem Handballen in eine der Scherben; sofort quoll ein saftig roter Blutstropfen hervor.
    «Vorsicht», warnte Sarah, «deine Füße!» Aber es war schon zu spät.
    Ein kleiner Schritt zurück – in meiner rechten Ferse steckte ebenfalls ein Stück Glas. Ein paar Minuten später saß ich mit zwei weiteren Verbänden auf der Küchenbank. Sarah hatte mir ein Paar von Mamas Plastikschlappen geholt, die sie vor der Tür zum Garten gefunden hatte, dann Verbandszeug gesucht und mir schließlich einen Pott Kaffee und eine Schnitte Brot mit Erdbeermarmelade hingestellt. Sie gefiel sich in der Rolle der Mutter Teresa, daran bestand kein Zweifel.
    «Bin schon seit Stunden auf», übertrieb sie schamlos.
    Erst nach einem Schluck von der schwarzen Brühe fiel mir auf, warum sie etwas ausstrahlte, das ich an ihr noch nie gesehen hatte: Sie war nicht – wie sonst – perfekt geschminkt. Sie hatte geduscht; ihre Haare waren noch feucht und legten sich beim Trocknen in sanfte Wellen.
    «Ich habe einen Plan!»
    Ich habe einen Plan!, klang nun eher nach Lara Croft, nicht mehr nach Mutter Teresa; der Plan war auch entsprechend.
    «Ich habe schon mit Rotter telefoniert. Der war nicht besonders erfreut, um diese Zeit aus den Federn geholt zu werden, aber wir können gegen zehn Uhr bei ihm sein, vorher muss er angeblich irgendwo hin. Wie er sich anhörte, braucht er mindestens zwei Stunden, um auf die Beine zu kommen und aus sich was zu machen, das einem Menschen ähnelt. Vielleicht hätte ich ihm sagen sollen, dass das hoffnungslos ist bei ihm und Zähneputzen uns schon reicht.»
    Das war allerdings nicht der Plan oder zumindest nur der kleinere und harmlosere Teil des Plans. Das dicke Ende kam noch, dessen war ich mir sicher, wahrscheinlich rührte mein Misstrauen von dem Glitzern in ihren Augen her, die ohne Smokey-Eyes-Lidschatten und One-Million-Diamonds-Mascara eigentlich umwerfend naiv strahlten. Auch auf dem Weg zu Rotter konnte ich Sarah nicht dazu bringen, mich in Teil zwei des Plans einzuweihen.
    Im Geschäft des PC -Händlers war ich heilfroh, Sarah an meiner Seite zu haben.
    «Im Büro», schallte eine kratzige Stimme aus dem Hintergrund, als wir durch unser Eintreten in das Geschäft eine scheppernde Klingel in Gang gesetzt hatte. Klingel und Stimme hatten eine gewisse Ähnlichkeit.
    Hinter dem Tresen trennte ein Vorhang aus fingerdicken, auf Kordeln aufgereihten Bambusröhrchen den privaten vom

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