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Unsichtbare Blicke

Unsichtbare Blicke

Titel: Unsichtbare Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Maria Reifenberg
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solche Filme nicht, aber mit Felix war es schön.
    Wo war ich? Was war passiert? Sarah. Sarah war da gewesen.
    «Es ist offen», hatte ich gerufen. Ihre Vespa hatte ich vorher gehört, sie hatte wieder Probleme mit dem Auspuff, ein anderes Geräusch war da gewesen, aus der Garage. Das konnte nicht sein, nur mein Vater benutzte die Garage, sonst war nie jemand darin, Mama stieg immer vor dem Tor aus, er fuhr das Auto hinein, aber sie waren nicht da, sie beteten die heilige Maria an. Tschenstochau. Schwarze. Die schwarze Madonna. Wie Trinity in ihrem schwarzen Ledermantel.
    In meinem Kopf rasten die Erinnerungen, nur Fetzen, mein Kopf tat weh, ich war betäubt worden, Drogen, daran musste es liegen, wo war ich nur? Ich merkte, dass ich die Augen wieder geschlossen hatte, die Lider lasteten so schwer, als läge etwas auf ihnen; schwere Münzen, Geld für den Fährmann, damit er mich in die andere Welt brachte. Die alten Römer, jetzt erinnerte ich mich, Rexhausen, Geschichte, die alten Römer, Münzen auf die Augen für Charon, der die Seelen über den Styx brachte.
    Nein, nein, nein. Nicht dorthin, nicht über den Fluss.
    Ich öffnete die Augen. Sie klebten und brannten, waren trocken.
    Ich lag in einem fast vollständig dunklen Raum. Nur zwei rote Lämpchen glommen in einer unbestimmten Ferne. Sie bewegten sich, Augen, Augen von einem Tier, eckige Augen, kein Tier, und sie bewegten sich auch nur einmal nach links, dann wieder in die entgegengesetzte Richtung.
    Ich hörte ein Surren.
    Vielleicht war es doch kein Raum, doch, es ist ein Raum, du liegst auf einer Pritsche, rief mir etwas zu, ich spürte, wie mein Gehirn wieder kurz davor war, Purzelbäume zu schlagen. Hatte ich gerufen? Oder jemand anderes?
    Sarah?
    Sarah, wo bist du?
    «Fahren wir mit dem Roller?», hatte sie gerufen. «Was für einen heißen Plan hast du, meine Mum hat die Sache mit Nelli geschluckt, sie ist im Marmeladenwahn, ich hab dir ein Glas mitgebracht.»
    Ich wollte schreien, sie warnen, aber er hat den Lappen genommen und auf mein Gesicht gedrückt.
    «Du liegst auf einer Pritsche», flüsterte ich. Nein, es war kein Flüstern, hauchen, nur ein Hauch, fast ohne Töne. «In einem dunklen Raum. Zwei Lampen. Rot. Eckig. Du kannst dich nicht bewegen. Es ist nicht kalt. Und nicht warm. Halte alles fest, Josie, alles, was wirklich ist, sonst wirst du verrückt.»
    Ich atmete so tief ein wie möglich. Mein Körper fühlte sich wie ein zentnerschwerer Sack an, ich erinnerte mich, dass ich dieses Gefühl kannte. Wie leicht plötzlich meine Gedanken zu diesem Gefühl wanderten.
    Vor zehn Jahren, es war kurz nach meinem siebten Geburtstag, an dem ich endlich den heißersehnten Barbie-Camper geschenkt bekommen hatte, waren wir für eine Woche an die Nordsee gefahren, bei Zandvoort in Holland war es gewesen, eine Woche salzige Luft, Sand, der irgendwann in jede Ritze kroch und unter dem Badeanzug scheuerte, ein Hund, der die Wellen anbellte, ein wuscheliges Kerlchen mit schwarzem Fell, schwarz mit braunen und weißen Flecken. Und die Jungs, die mich am Strand eingegraben hatten.
    So fühlte sich mein Körper jetzt an, wie unter einer Decke aus schwerem, feuchtem Sand.
    Ich konnte mich genauso wenig rühren wie damals, aber ich hatte damals keine Angst gehabt, schließlich gab es Bessie, jetzt erinnerte ich mich an den Namen, Bessie, die mich bewachte und zärtlich meine Ohren leckte. Aber vorher hatte sie die Wellen angebellt, bevor die Jungs gekommen waren und mich eingegraben hatten.
    «Er glaubt, die Wellen leben und verfolgen ihn», sagte meine Mama, sie lachte. «Aber schau, Josie, wie mutig er sie immer wieder verjagt.»
    «Es ist ein Mädchen, Mami, ein Mädchen», hatte ich gerufen.
    Irgendwann hatte Bessie, sie war ein Mädchen, ja, ein Welpe fast noch, erst acht Monate und ein Berner Sennenhund, irgendwann war sie erschöpft und hatte sich mitten auf mein Handtuch gelegt, nass, mit ihrer schwarzen Nase, mit Sandkörnern drauf.
    «Wie Pamiermehl, Mama, wenn du backst, Pamiermehl!», und wir hatten gelacht, ich sagte Pamier nicht Panier, weil ich es als kleines Kind schon immer verwechselt hatte. Pamier.
    Ein paar Jungs kamen hinter den Dünen hervor; sie riefen immer wieder den Namen des Hundes, aber Bessie rührte sich nicht von meinem Handtuch.
    «Sollen wir dich eingraben», fragte der Älteste der drei. Er trug Shorts mit Haien auf Surfbrettern und ein offenes Hemd, das im Wind flatterte.
    «Ich bin Mats», sagte er. «Ich wohne hier im Dorf.»

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