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Unsichtbare Blicke

Unsichtbare Blicke

Titel: Unsichtbare Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Maria Reifenberg
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Sohn in einen Schuppen wie das Underground zu gehen, mutete Stella ein bisschen absurd an. Sie war seit Ewigkeiten nicht mehr dort gewesen, eigentlich seit Mortens Geburt nicht mehr. Ein wenig fühlte sie sich aber auch geschmeichelt.
    «Warum nicht? Liv war mit mir auch schon im Berghain.»
    Die aufflackernde Freude in ihr erlosch. Liv. Kramers Neue mit ihrem Sohn in dieser Drogenhöhle im Berliner Osten, was wünschte man sich mehr?
    «Hast du eigentlich was mit Partydrogen am Hut?»
    Sie war eine dumme Kuh. Wie konnte sie jetzt eine solche Schwachsinnsfrage stellen.
    «Ich?», äffte Morten sie nach. Dann verdrehte er die Augen. «Klar, ich beliefere die halbe Hauptstadt. Oder wolltest du wissen, ob ich welche nehme?»
    «Schon gut», wiegelte Stella ab. Sie hatte es verpatzt und war froh, dass ihr Handy klingelte. «Augenblick …», sagte sie und drückte die Taste mit dem grünen Hörer darauf.
    Saito war dran. «Die Sonnleitners, wir haben sie endlich aufgestöbert, sie sind auf dem Weg. Wahrscheinlich in knapp zwei Stunden zu Hause», sagte er.
    «Ich muss los», sagte Stella.
    «Ja, musstest du immer schon», antwortete ihr Sohn.
    Der Satz schnitt Stella tief ins Herz.
    «Mama, Liv ist echt nett, und Kramer hat dich nicht wegen ihr verlassen. Eigentlich hat er dich überhaupt nicht verlassen. Du warst einfach – weg. Nicht da. Nie da. Ein Phantom kann man nicht verlassen.»
    Stella nickte. Was sollte sie dazu sagen? Der Junge hatte recht. Punkt. Sie wuschelte durch seine Locken und machte sich auf den Weg. Als sie bei den Sonnleitners eintraf, erwartete sie eine Überraschung.
    Vor der immer noch verschlossenen Haustür saß ein junger Mann, den Stella von den Fotos, die sie in Josies Spind im Altenheim gefunden hatten, kannte.
    Den Kopf hatte er an einen hochbepackten Rucksack gelehnt, der neben ihm stand. Sein Mund stand einen Fingerbreit offen. Seine Beine hatte er weit ausgestreckt und gespreizt, eine ergebene Haltung, offen, schutzlos, wie sie nur möglich war, wenn man völlig arglos oder eingeschlafen war. Letzteres war der Fall. Nur die in Falten gelegte Stirn und ein leises Zucken der Oberlippe deuteten darauf hin, unter welcher Anspannung er litt. Dass er das tat, stand außer Zweifel, denn in einer Schlaufe des Rucksacks erkannte Stella ein zusammengerolltes Exemplar einer der Zeitungen, die auf der Titelseite über Josie, Sarah und die ermordeten Jugendlichen berichteten.
    Er rührte sich nicht, als Stella neben ihn trat. Sein Flecktarnrucksack zeugte von vielen Reisen, Reisen, die der Junge nicht alle selbst unternommen haben konnte. Bestimmt stammte das Teil aus Armeebeständen, war auf dem Flohmarkt gekauft oder vom älteren Bruder weitervererbt worden. Ein Schlafsack und eine Isomatte waren mit der Verschlusslasche oben auf dem Gepäckstück befestigt.
    Obwohl er so mitgenommen wirkte, verstand Stella sehr gut, warum Josie sich in diesen Felix verliebt hatte, und sie musste an Fabrizio denken. Felix hatte längst nicht so viel
Ragazzo
an sich wie Stellas fatale Jugendliebe, aber Josie hatte unübersehbar den gleichen Geschmack wie sie.
    Als Stella vorsichtig eine Hand auf Felix’ Schulter legte, öffnete er ganz langsam die Augen, verschloss sie aber sofort wieder. Erst mit einiger Verzögerung zuckte er heftig zusammen und sprang auf.
    «Scheiße», hauchte er und rieb sich die Augen. «Entschuldigung.»
    «Ich bin Stella van Wahden, Kriminalpolizei …»
    «Wo ist Josie?», unterbrach Felix Diuso sie.
    «Ich habe gehofft, dass Sie uns da helfen können.»
    Diuso schaute sie verständnislos an. «Ich war in Kroatien.»
    Stella hörte einen PKW in die Einfahrt biegen. Miki blieb noch im Auto sitzen und beendete ein Telefonat, dann teilte er Stella mit, dass die Sonnleitners im Stau gestanden hatten, aber in einer halben Stunde da seien. Stella überlegte einen Moment.
    «Miki, fahr mit ihm in die Polizeiwache und warte da auf mich, ich mache das hier alleine.»

39
    Ich war nicht in meinem Zimmer, natürlich nicht, das Fenster fehlte, und die Tür war nicht aus Holz, sondern aus Stahl. Auch die Wände fühlten sich anders an, kalt und feucht; in einer Ecke gab es eine runde Öffnung fast von der Größe eines Kanaldeckels; warme Luft strömte durch die festen Lamellen aus Metall, die den Durchlass verriegelten. Meine Versuche, die Tür oder die Luke zu öffnen, waren gescheitert, wobei der Belüftungsschacht vielleicht eine Chance bot, wenn man mit einem Werkzeug oder zumindest mit

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