Unsichtbare Blicke
seine Stimme.
«Warum hast du mir nicht gesagt, dass das Flittchen im Anmarsch ist, warum nicht, du bist ein böses Mädchen, aber das wird sich ändern.»
Sarah. Wo war Sarah? Sie war bestimmt ins Haus gegangen, sie kannte den Trick mit der Garage. Wenn ich nicht da gewesen wäre, hätte sie es sich in meinem Zimmer bequem gemacht. Sie war vor dem Haus gewesen. Wo war sie jetzt? Hatte er sie mitgenommen?
Ruh dich aus, Josie, ruh dich aus, denk jetzt nicht an Sarah, später, ja, Sarah und Felix. Sie werden nach dir suchen. Sarah ist bestimmt wieder gegangen, als ich die Tür nicht geöffnet hatte.
Ich war so erschöpft, dass ich mich hinlegen musste und wieder einschlief. Als ich aufwachte, waren zumindest die Übelkeit und der Schwindel weg. Mein Kopf war wie leer geblasen. Ich vollendete die Erkundung des Raumes. Ich traute mich in die Mitte des Zimmers.
Ich wusste nicht, warum ich davor Angst gehabt hatte, vielleicht weil ich instinktiv gespürt hatte, dass mich dort noch etwas erwartete. Die ganze Zeit, während ich Schrittchen für Schrittchen die Wände abgetastet und die wenigen Einrichtungsgegenstände, das Plakat, den Bademantel befühlt hatte, war der Gedanke gewachsen, aber ich hatte ihn nicht zu mir durchdringen lassen. Nun, in der Mitte, stolperte ich über etwas, das weich und glatt, zerknautscht war, es gab dieses knirschende Geräusch von sich, das ich kannte, wie in meinem Zimmer zu Hause. Ich stolperte und landete genau auf dem Möbel, das eigentlich gar keins war, sondern eine Mischung aus Stuhl und Polster, ein Stuhl ohne Rückgrat sozusagen, aber mehr als nur ein überdimensioniertes Kissen. Ein Schrei entfuhr meiner Kehle. Ich lag bäuchlings darauf.
Es war ein Sitzsack. Orangerot vermutlich, wie meiner, aber es konnte nicht meiner sein, es war nicht meiner, es war nicht mein Zuhause hier, nicht mein Zimmer, auch wenn die Aufteilung und die Möbel sich in der Dunkelheit genauso anfühlten, fast genauso, nur fast.
38
Stella hatte ihren Sohn seit Tagen nicht gesehen, nicht einmal seine letzte SMS hatte sie beantwortet. Sie könnten ihn dir genauso wegschnappen, und du würdest es nicht merken!, dachte sie, als sie ihre Tasche im Wohnungsflur aus der Hand gleiten ließ, den Schlüssel legte sie ebenso achtlos irgendwo hin. Jetzt wäre es ihr allerdings lieber gewesen, Morten in Berlin bei Kramer zu wissen. Oder besser gleich auf einer Weltreise.
Die Auffindung von Sarah Trautmann hatte endgültig ein Medienecho erzeugt, wie sie es schon lange nicht mehr erlebt hatte; die Ermittlungen erleichterte das nicht gerade, im Gegenteil. Da sie den Wölfen kein frisches Futter hinwerfen konnte, buddelten die Zeitungsmacher nach Aas – und das fanden sie in erster Linie bei Stella und der Geschichte von Anka Mandell, aber sie scheuten sich auch nicht, in der Familiengeschichte der van Wahdens zu wühlen.
Ihre Dienstwaffe brachte Stella in den kleinen Tresor, der extra für die Walther P 99 , die vor ein paar Jahren ihre alte Sig Sauer abgelöst hatte, eingebaut worden war. Die Angst, Morten könnte mit dem Ding herumspielen, hatte Stella wenigstens in dieser Hinsicht immer zu größter Sorgfalt getrieben – eine Eigenschaft, die ihr sonst in ihren vier Wänden ein bisschen abging. Seit Morten für die paar Monate zwischen Abitur und Semesterbeginn sein altes Zimmer bezogen hatte, hatte sich das Chaos etwas gelichtet. Die Ordnungsliebe konnte er nicht von Stella geerbt haben.
In der Küche klirrte etwas.
«Morten?», rief Stella.
Ihr Sohn streckte den Kopf in den Flur.
«Welch seltener Besuch!», flachste ihr Sohn. «Isst du mit mir?»
«Nichts lieber als das.»
«Warte, bis du siehst, was es gibt.» Morten hielt eine Dose Ravioli und den Büchsenöffner in der Hand. «Ich mach eine zweite Dose auf.»
Sie setzte sich an den Küchentisch. «Was macht das Filmbusiness?»
«Wir drehen nächste Woche mit Angelina Jolie. Hammer, du glaubst nicht, mit was für einem Tross die anreist.»
Zwei Drehtage in Nordrhein-Westfalen, um sich einen Batzen deutscher Filmförderung zu sichern, dachte Stella.
«Du siehst nicht gut aus», sagte er ein paar Minuten später, während er den Inhalt der einen Dose auf seinen, den der anderen auf ihren Teller häufte. Er streute ein bisschen Parmesan aus einer Plastikdose darüber.
«Uh, nouvelle cuisine!», säuselte Stella.
Morten lachte. «Du bist eine schlechte Schauspielerin. Neue Leiche?», fragte er.
Sie schluckte, schüttelte den Kopf und tadelte
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