Unsichtbare Blicke
entgegenarbeitete. Er schaltete sich mit einem Knacken ab.
Da sich niemand rührte, nahm Stella drei Porzellanbecher von dem kleinen Regal über der Spüle. Sie öffnete die Blechdose daneben und fand ein Sammelsurium von Teebeuteln. Für sich nahm sie Kamille, den Sonnleitners warf sie jeweils ein Beutelchen Melisse in die Tasse und füllte sie mit dem kochend heißen Wasser.
«Setzen Sie sich bitte, Herr Sonnleitner», forderte sie Josies Vater auf, der blass dastand und mit einer Hand am Reißverschluss seiner Windjacke schubberte.
Horst Sonnleitner rückte neben seine Frau auf die Eckbank.
«Im Flur gibt es Hinweise auf einen Kampf, auch hier in der Küche sieht alles danach aus, als habe es zumindest einen überstürzten Aufbruch gegeben. Erzählen Sie mir jetzt die ganze Geschichte, alles, was Sie wissen jedenfalls. Ich sage Ihnen gleich, dass wir das alles überprüfen.»
13 . Mai 2009
Jemand von der slowenischen Wohnbaugesellschaft wollte mit ihm sprechen. Ein junger Mann, hatte die zickige Tunte an der Rezeption gesagt, mehr nicht, gehaucht hatte sie es ins Telefon, ihm war schon beim Einchecken aufgefallen, wie die Schwuchtel ihm auf die Hose geschaut hatte. Soll ich dir meinen fetten Riemen in dein Tuntenloch rammen?, hätte er gerne gefragt, in diesem sanften Ton, den auch Krapp draufgehabt hatte, wenn er einen der Jungs aus dem Schlafsaal geholt hatte.
Möchtest du heute noch ein bisschen Fernsehen schauen, bei mir oben?, hatte er gesäuselt, und sobald die Tür des Dienstzimmers für die Nachtwachen ins Schloss gefallen war, hatte der Ton sich geändert. Krapp hatte auf Beschimpfungen gestanden, er hatte Dinge zu den Jungen gesagt, die man zu keiner abgelutschten Nutte sagte. Tommi war verschont geblieben, wie alle, die zu Monk gehörten.
Er saß auf dem Bett und schaute in den Spiegel über der Kommode links von der Zimmertür. Daneben hing eine Auflistung der Preise, reguläre Preise und Messepreise, wegen dieses Pharmakongresses zahlte er fast das Doppelte für dieses gesichtslose Loch, in dem nicht einmal ein Stück Seife oder ein Duschbad oder ein Shampoo im Bad lag. Gegen den Mief von billigem Rasierwasser und Zigarren, die jemand gepafft hatte, obwohl es ein Nichtraucherzimmer war, kämpfte ein versteckter Aromaspender mit Pfirsichgeruch an; er war schlimmer als die Zigarren, legte sich auf die Zunge und machte ein pelziges Gefühl.
Er hasste Hotels. Alles, wo die Zimmer nummeriert waren, hasste er. Wohl fühlte er sich nur in der Hütte oder am Teich, daran hatte sich nichts geändert, aber er musste zu diesen Immobilienbörsen, um dort die letzten Bruchbuden aus dem Arbeiter- und Bauernstaat an den Mann zu bringen, ein paar hatten sie immer noch im Bestand. Er war schon seit zehn Tagen unterwegs, das reichte.
«Soll ich den Herrn nach oben schicken?», quäkte die Stimme im Hörer.
«Nein», blaffte er, zügelte sich aber sofort und bemühte sich um einen neutralen Tonfall. «Schicken Sie ihn an die Bar.»
An der Bar wartete der Mann auf ihn. Er trug ein zu weites Sakko aus grober Wolle, das an ein paar Stellen schon schäbig aussah. Der Typ räusperte sich und nestelte an dem Sakko, fischte den Teebeutel aus dem Glas, das bereits vor ihm stand, Pfefferminze. «Ich bin gar kein Slowene», sagte er, seine Eltern seien schon vor Ewigkeiten in den Westen, aber er könne Slowenisch und habe die Vertretung der Firma in Deutschland übernommen.
Er bestellte sich einen Milchkaffee, während der Typ im Sakko weiterschwallte. Auf den ersten Blick hatte er gesehen, dass es ein Schwätzer war, das lernte man in seinem Job. Wer mit Immobilien handelte, sollte nach spätestens drei Minuten Schwätzer, Betrüger und potenzielle Käufer auseinanderhalten können. Der Slowene war ein Schwätzer. Harmlos, aber Abschlüsse gab es mit denen nicht.
Das Objekt in Kleinsdorff. Seit Jahren hatte sich keiner mehr dafür interessiert. Was wollte der Slowene mit dem Kasten? Nicht mal das Grundstück war den Preis wert, den er dafür angesetzt hatte.
Während der Typ die Finanzkraft seiner Investorengruppe anpries, drängelte sich mehr und mehr eine Stimme hinter ihm in sein Bewusstsein.
Er kannte diese Stimme, das Lachen, es war das Lachen, nicht wirklich die Stimme. Die war jetzt tiefer als damals, aber das Lachen, es war nicht zu verwechseln.
Der Slowene sagte noch irgendetwas und verabschiedete sich. Vor ihm auf der Bar lag eine Visitenkarte. Er steckte sie ein, obwohl er wusste, dass er den Typ nie
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