Unsichtbare Kräfte
stündlich bedroht. Er mußte bei Medardus sein, ihm helfen, ihn behüten - ihn, den Sohn William Hogans und Vivian Dohertys. Mußte einen Teil der Schuld abtragen, die seit jener Nacht am Weyman-River auf ihm lastete.
Die Schuld - vergeblich hatte er sich in sophistischen Überlegungen davon freizumachen versucht. Doch immer wieder der Gedanke in ihm: Was wollte an jenem letzten Abend William Hogan von Vivian?
Er selbst war ja bei der Aussprache Hogans mit seinem Vater, Lord Roßmore, unsichtbar zugegen gewesen, hatte ihre Unterredung mit angehört. William hatte den Bitten seines Vaters anscheinend nachgegeben, Vivian verraten. Und doch! Konnte sich sein Sinn nicht zum Guten gewandelt haben, als er den Felshang zu Vivian hinaufstieg? Konnte er nicht, trotz allem, in reiner Liebe die Absicht hegen, Vivians Hand zu gewinnen, die Schmach von ihr abzuwenden?
Und als er, Arvelin, unsichtbar hinter Vivian getreten, plötzlich sich Hogans Augen offen bot, der erschrak, den Hang hinunterstürzte - war’s auf seiner Seite nur Mitleid, selbstlose Liebe gewesen? Oder nicht vielmehr Haß, geboren aus blinder Leidenschaft zu Vivian?
Dann war es seine Schuld, daß Vivian starb. Seine Schuld, daß ihr verwaister Sohn als Findling in fremdem Hause aufwachsen mußte. Seine Tat an Medardus zu sühnen, war sein einziger Gedanke seitdem. Um ihn zu beschützen, mußte er seine Erfindung weiter ausbauen. Er mußte imstande sein, den bergenden Mantel auch über ihn, über andere zu werfen. Ungeheuerlich schien ihm selbst die Aufgabe. Was einer neuen Lebensarbeit bedurfte, mußte in kurzer Zeit errungen werden. Wohl sah er bald den Weg. Doch der zeigte sich versperrt durch eine Gefahr, die sein Leben bedrohen, vernichten konnte.
Die Energiemengen, die in seinem Zaubermantel schwangen, waren ja nur unendlich gering, und infolgedessen unschädlich. Eine winzige Stromquelle konnte den Mantel auf lange Zeit weben. Doch gefährlich wurde das Gewebe, wenn es zu weit geworfen werden mußte, wenn andere, größere Dinge zu tarnen waren. Dann bestand die Gefahr, daß der Träger der Stromquelle von verderblichen Rückschwingungen getroffen wurde, die, wie in früheren Jahrzehnten schon gewisse hochfrequente Schwingungen, schleichende organische Schädigungen hervorriefen.
Doch bald hatte er diese Schrecken überwunden. Sein Leben? Was galt’s ihm, wenn er damit das teure Dasein von Medardus erkaufte? Ohne Furcht schritt er den Weg, die Augen nur zum Ziele gewandt, ohne Rücksicht auf die Gefahren, die ihn umlauerten, ihn packten, den Todeskeim in ihn senkten. Das verderbenbringende Gift im Mark, war er unter Anspannung aller Kräfte seines schon geschwächten Körpers immer bei Vivians Sohn gewesen, hatte ungesehen wie ein Schutzengel seinen Mantel um ihn gebreitet, wenn der Tod nahe schien.
Da ward er Zeuge des Gesprächs zwischen Medardus und Edna. Winterloo, ihre alte, teure Heimat, war von diesen Räubern, den Harrachs, zum Verkauf ausgeboten. Der letzte Wunsch seines alten Freundes, daß ein Winterloo Erbe, Besitzer des alten Stammschlosses sein sollte, hatte ihn hierhergetrieben - nach langem inneren Kampf zwischen den Pflichten, die beide ihm teuer und heilig.
Und nun: Seine Hand tastete zur Tasche. Ein Papier knisterte darin. Das Testament des Freundes! Endlich gefunden! Ein gütiges Schicksal lohnte seinen letzten Freundesdienst an dem Freiherrn, gab ihm das Dokument, das er im letzten Augenblick den gierigen Händen der Harrachs entriß. Und als hätte das bedeutungsvolle Schriftstück ihn gemahnt, raffte er sich auf, schritt weiter. —
Als Arvelin am nächsten Morgen das gastliche Haus des Notars verließ, schien er um Jahre verjüngt. Hartwigs zuversichtliche Erklärung, daß alle Pläne Harrachs an diesem Dokument scheitern müßten, daß er sofort einen gerichtlichen Beschluß erwirken werde, das Gut des alten Freiherrn für die rechtmäßigen Erben sicherzustellen, hatte ihm neue Lebenskraft gegeben.
Vergeblich bemühte sich Hartwig, ihn zu halten. Eine innere Unruhe trieb ihn zur sofortigen Abreise.
Im Hof des Schlosses herrschte lärmendes Treiben. Eine Menge von Käufern und Neugierigen hatte sich versammelt, um der Versteigerung beizuwohnen.
Franz und Adeline standen am Fenster. Das Zimmer, in dem sie weilten, schon geräumt. Alles in Kästen und Kisten verpackt. Franz rieb sich die Hände. Alle Anzeichen waren günstig.
Unwirsch sah Adeline auf die Uhr. »Es wird Zeit, mit der Versteigerung zu beginnen! Mir
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