Unsichtbare Kräfte
das Testament beseitigten. Der Verstorbene mag es versteckt haben - vielleicht aus Furcht vor den neugierigen Augen dieses Franz Harrach. Weiß der Himmel, wann es zum Vorschein kommt! Und dann?«
»So wird also morgen Schloß Winterloo in fremde Hände kommen!« unterbrach ihn Arvelin. »Oh, diese Unwürdigen! Wie konnten sie das tun?«
»Ich hörte, die Harrachs wollen sich in Polen ankaufen. Nun, wir verlieren nichts an ihnen!«
Franz und Adeline Harrach saßen an der Mittagstafel. Adeline schob mißmutig das Besteck zur Seite, schaute ärgerlich auf ihren Bruder, der den Speisen kaum zusprach, ein Glas des schweren Weines nach dem anderen hinunterstürzte.
»Ich hätte mir unser letztes Mahl im Schloß vergnügter vorgestellt, Franz. Du tust ja, als hocktest du in einer Trauergesellschaft. Ist dir der Gedanke, Winterloo zu verlassen, plötzlich wieder leid geworden?« Sie lachte höhnisch. »Ich wüßte nicht, daß du viele glückliche Tage in diesem verwunschenen Schloß, wie du es zu nennen beliebst, verbracht hättest! Doch ich weiß, du kommst nicht los von dem Gedanken an das Testament.«
»Der Teufel soll das Schloß holen samt dem Testament!« brummte Franz vor sich hin. Er sprang auf, schritt unruhig hin und her.
Auch Adeline war aufgestanden, trat an ihres Bruders Seite. »Es ist wahr, Franz. Der Teufel mag die ganze Erbschaft holen! Auch ich kann mich, offen gesagt, nicht von einer gewissen Angst freimachen. Aber nein!« Sie legte die Arme um Franzens Schultern. »Es ist ja unmöglich! Unsere Furcht ist grundlos. Was dieser Alte, was wir selbst in wochenlangem Suchen nicht gefunden haben ... Franz!« sie rüttelte ihn auf. »Seien wir stark! Werfen wir all die törichten Skrupel hinter uns! Das Testament wird niemand finden! Es existiert überhaupt nicht! Lüge alles, was der alte Mucker uns gesagt! Käufer sind genügend vorhanden. Wir werden für Schloß Winterloo einen guten Preis herausschlagen. Haben wir ihn in der Tasche und sind damit über die Grenze, dann soll’s einer versuchen, uns das Geld wieder abzujagen!«
»Möchte der Blitz in das alte Nest schlagen, es bis auf die Steine verbrennen!« knurrte Franz. »Dann erst würde ich Ruhe haben. Das Testament - Adeline, du lügst! Es ist doch wahr, was der Alte gesagt hat! Es ist da! Befindet sich hier im Schloß!«
Adeline ließ die Hände sinken, sah schaudernd zur Seite. »Du fürchtest, unser Nachfolger könnte das Dokument finden?«
Ein starkes Klopfen an der Tür. Morawsky trat ein. »Die Steinmetzen werden ihre Arbeit im Mausoleum gleich beendet haben. Will der gnädige Herr nicht ...?«
Ehe der Bruder eine Antwort fand, sprach Adeline: »Gehen wir in den Garten, zum Mausoleum! Die frische Luft wird uns guttun. Eigentlich ein eigenartiges Zusammentreffen: Just zur gleichen Zeit, da Winterloo in fremde Hände übergeht, schließt sich der Sarg des letzten Trägers des Namens für immer.«
»War übrigens gut, daß der Alte die Grabplatte noch selbst bestellt und bezahlt hat.«
»Gehen wir, Franz! Draußen werden die bösen Geister, die dir den Kopf verwirren, zum Schweigen kommen!«
»Was sagst du, Adeline? Böse Geister?« Er fuhr herum, das Weinglas, das er eben geleert, in zitternden Fingern. »Im Mausoleum böse Geister? Ja, du hast recht - sie treiben da ihr Wesen! - Bleiben wir hier! Man soll die Steinmetzen wegschikken, den Grabbau verschließen!«
»Franz! Schämst du dich nicht deiner Feigheit? Du kommst mit mir! Sofort!«
Energisch griff sie ihn am Arm, zog ihn aus dem Haus.
In der Nähe des Mausoleums begegnete ihnen der Steinmetzmeister. »Ah, da sind ja die Herrschaften! Ich bitte Sie, näher zu treten. Die Platte des Epitaphs ist gelegt.«
Franz wollte eine ausweichende Antwort geben, doch Adeline ließ ihm keine Zeit. Den Bruder mit sich führend, trat sie an der Seite des Handwerksmeisters in das Mausoleum ein.
Der Steinmetz wies auf die Platte. »Ich denke, sie ist nach Wunsch ausgefallen!« sagte er nicht ohne Stolz.
Adeline, die nur flüchtig hingeschaut, nickte zerstreut. »Schon recht, Meister! Lassen Sie sich im Schloß eine Erfrischung geben!«
Der Meister schritt zum Ausgang, wandte sich noch einmal um. »Die drei kleinen Deckplatten, die bisher auf dem Grabe lagen, habe ich einstweilen an die Wand stellen lassen.«
Adeline winkte ihm ungeduldig ab. »Lassen Sie die Tür offen! Es ist dann heller hier.«
Der Steinmetz verabschiedete sich. Auch Adeline wollte sich zum Gehen wenden. Doch
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