Unsichtbare Kräfte
Scharten auszumerzen, die eure Klinge geschlagen hat.«
Droste nickte ernst. »Gewiß! Viel Schweres gibt es noch zu tun für Ihr Vaterland. Die Brasilianer ziehen wieder sämtliche Reserven ein.«
Mit einer unruhigen Bewegung wandte Edna den Kopf. »Die entlassenen Reserven? Allerdings - sie sind wieder unter der Fahne nötig ...«
»Viele werden nicht gerne dem Rufe folgen.« Drostes Blicke streiften das Mädchen, das im Geiste bei Hauptmann Winterloo weilte.
Auch Oswald würde wieder in das Heer eintreten müssen. Im ersten Teil des Krieges war ihm das Geschick günstig gewesen. Jetzt - tot oder verwundet ... Wer weiß, ob sie ihn je wiedersehen würde?
Droste erriet ihre Gedanken nur zu wohl. Um ihnen eine andere Richtung zu geben, sagte er: »Ich bin besorgt darüber, daß ich so lange nichts aus der Heimat höre. Fast muß ich annehmen, Vater Arvelin sei erkrankt.«
»Oh, das täte mir leid!« erwiderte Edna. »Bin ich ihm doch von ganzem Herzen zu Dank verpflichtet, dem guten, alten Mann! Wo weilt er in Deutschland?«
»Nun, wo soll er anders sein als in Schloß Winterloo, seinem langjährigen Heim? Wie sieht’s überhaupt in Deutschland aus, Fräulein Edna? Kommt’s mir doch vor wie eine Ewigkeit, daß ich eine deutsche Zeitung in Händen hielt.«
»Ah, das trifft sich gut! Ich fuhr bis Jamaika mit dem deutschen Dampfer »Thuringia«. Hatte Gelegenheit, ein paar deutsche Zeitungen mitzunehmen. Ich habe sie im Hause. Vielleicht entdecken Sie in den alten Blättern noch einiges, was Sie interessiert.«
Bei ihrer Rückkehr fanden sie Maria noch schlafend. Leise setzten sie sich ins Nebenzimmer, und Droste durchstöberte die Zeitungen.
Plötzlich fuhr er erschrocken hoch. »Diese Nachricht hier, gnädiges Fräulein! Fürchterlich für mich - und noch viel mehr für Vater Arvelin!«
Edna las die angegebene Stelle. »Was? Schloß Winterloo, das Erbe von ... Ihr altes Heim, zur öffentlichen Versteigerung angesetzt? In drei Tagen schon der Termin?«
Droste wollte antworten. Da ... klang es nicht wie Stöhnen hinter ihm? Er eilte zur Tür, die in Marias Zimmer führte, schaute hinein. Niemand darin außer der Blinden, die mit leichtgeröteten Wangen wie in einem glücklichen Traum fest schlummerte.
»Was war das eben?« flüsterte Edna. »Als wenn jemand hier wäre ... eine menschliche Stimme - ich hörte es deutlich!«
Mit unterdrücktem Aufschrei griff sie nach Drostes Arm. Die Tür, durch die sie vorhin gekommen und die sie hinter sich geschlossen hatte, ging knarrend auf.
Droste eilte dorthin. Niemand zu sehen! Einen Augenblick stand er nachdenklich, brach dann in ein Lachen aus. »Wären wir in meiner Heimat, würde ich sagen: Ein Spukhaus. Doch hier in La Venta.«
Edna, halb beruhigt, versuchte, in seine Heiterkeit einzu stimmen. Ehe sie weitersprechen konnte, klang die Stimme der aufgewachten Maria. Erfrischt von dem Schlaf, führte sie die beiden lebhaft plaudernd vor das Haus, wo sie noch ein Stündchen beisammensaßen. Dann bestieg Droste seine Jacht, um nach Tlacala zurückzukehren.
Arvelin saß im Büro des Notars Hartwig. Morgen war der Termin der Versteigerung von Schloß Winterloo. Der Anwalt sah voll Teilnahme auf das Gesicht seines Besuchers. Wie stark hatte sich der im Laufe der letzten Monate verändert! Die Wangen eingefallen, die Augen tief in den Höhlen liegend, das faltige Gesicht grau, verfallen. Wie um ein Jahrzehnt gealtert, dachte der Notar. Gewiß, es mochte ihm schwerfallen, das Haus, das ihm jahrzehntelang Heim gewesen, auf immer verlieren zu müssen.
Um Arvelins Mund zuckte ein resigniertes Lächeln. Als ob er die Gedanken seines Gegenüber erraten hätte, sagte er mit müder Stimme: »Es geht nicht um mich, Herr Notar, daß ich so niedergeschlagen bin. Es ist nur die letzte Sorge um meinen alten Freund Winterloo. Sein letzter Wunsch war, daß ein Winterloo, ein Träger seines Namens, im Schloß wohnen sollte ... Und der war gefunden! Ich selbst holte ihn - hoffte, durch seine Gegenwart die Sterbestunde des Freundes zu erleichtern.« Der Doktor trat, wie von einer inneren Stimme getrieben, näher an Hartwig heran. »Glauben Sie, daß Winterloo in der Erwartung des ersehnten Erben sein Testament, das er vor meinen Augen geschrieben, vernichtet hätte?«
Der Notar legte Arvelin beruhigend die Hand auf die Schulter. »Ein unglückliches Spiel des Zufalls! Anders kann ich’s nicht nennen. Da Sie doch selbst, lieber Herr Doktor, keinen Verdacht hegen, daß die Harrachs
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