Unsterblich 04 - Unsterblich wie der Morgen
Erscheinung war die alte: dunkler Teint, leuchtend grüne Augen und eine stattliche Größe, die er von seinem Vater geerbt hatte. Cem sah trotz seines Alters von einhundertzweiundzwanzig keinen Tag älter aus als dreißig. Aber etwas an ihm war anders, grübelte Adam.
»Siehst auch nicht schlecht aus«, sagte Cem mit einem zögernden Lächeln. »Dein Job als Friedenshüter scheint dich fit zu halten. Ich wette, der Seebarsch wird beim morgigen Spiel ganz schön staunen.«
Adam runzelte die Stirn. Small Talk lag Cem gar nicht.
Was ging hier vor? Er musterte den Türken noch einmal gründlicher. Weißes Hemd, Jeans, grüner Pulli, Uhr mit Lederarmband ... alles ganz normal. Typisch Cem. Seine Haare waren ein wenig kürzer, ein wenig ordentlicher.
Und dann traf es ihn wie der Blitz: Seine Jeans war gebügelt! Wer bügelte denn heutzutage noch Jeans? Und sein Hemdkragen - war der gestärkt? Adam schnupperte; ja, es roch nach Stärke ... und nach Parfüm! Nicht zu süß, nicht zu herb. Eine Spur Tabak. Le Rouge von Boulgari, vermutete er.
Da war eine Frau im Spiel, Adam war sich sicher.
Aber wenn sie Cems Hemden stärkte und seine Jeans bügelte, musste es was Ernstes sein - und das war sehr überraschend. Cem nahm seine Arbeit als Hüter der Formel sehr ernst. Die Verbesserung der Formel war sein Lebensinhalt. Sein Ziel war es, sie so weit anzupassen, dass die Transformation weniger schmerzhaft war. Dazu noch sein Posten als Leitender Dozent an der Fakultät für Organische Chemie - er hatte keine Zeit für eine Beziehung.
Das hatte er in den letzten hundert Jahren zumindest immer behauptet. Warum also hatte er ihm nichts von dieser Frau erzählt?
»Wer ist sie, und wie lange wohnt ihr schon zusammen?«
Cem riss Augen und Mund auf, dann begann er zu lachen. »Weißt du, dass ich mir eine regelrechte Strategie zurechtgelegt hatte? Um es dir so schonend wie möglich beizubringen? Und jetzt schau dich an! Typisch Friedenshüter. Dein Scharfsinn sollte mich eigentlich nicht verwundern.«
»Wieso schonend beibringen? Was ist los?«, fragte Adam erschrocken.
Doch nun war es unübersehbar: Cem war verliebt.
»Sie bedeutet mir alles«, sagte er schlicht.
Sie bedeutet mir alles. Genau dasselbe hatte Adams Vater auch einmal zu Adam gesagt. Wenn ein Vampir seinen Lebenspartner findet, rückt alles andere in den Hintergrund.
Wahre Seelenpartner leben füreinander und sterben gemeinsam. So wie Adams Eltern. Wie Cems Eltern.
»Ich wusste immer, dass du mal sehr alt wirst«, sagte Adam.
»Wir beide gemeinsam, sie und ich«, sägte Cem entschlossen. »Der Verlust der Lebensfreude ist Vergangenheit. Wir alle können jetzt unseren Seelenpartner finden.
Vorher, als wir nur unter unserer eigenen Rasse wählen konnten, war es schwerer. Aber jetzt können wir uns auch mit Menschen vermählen.«
»Mit Menschen!«, rief Adam fassungslos. Er hatte gehört, dass manche Vampire menschliche Partner wählten, aber sein Freund konnte doch nicht etwa meinen, dass ...
Doch so schien es, Adam las es in Cems Miene. »Sie ist ein Mensch?«
»Ihr Name ist Victoria. Wir haben vor zwei Monaten geheiratet. Tut mir leid, dass ich dir nicht Bescheid sagen konnte, aber es ging alles so schnell. Sie hatte eine Heiratsphobie, und ich musste schnell handeln, damit sie es sich nicht anders überlegt. Du weißt, wie gern ich dich als Trauzeugen gehabt hätte.«
»Du bist verheiratet.«
Adam war wie vom Donner gerührt. Sein Freund war verheiratet. Mit einer menschlichen Frau!
»He, nun komm schon!« Cem wedelte mit seiner Hand vor Adams fassungslosem Gesicht herum. »Verstehst du jetzt, warum ich's dir schonend beibringen wollte?«
»Menschlich ...«, sagte er dümmlich; er fühlte sich im Moment alles andere als schlau. Hatte Cem denn gar nichts aus Helenas Fehlern gelernt? Eine Verbindung mit einem Menschen brachte doch nur Kummer und Schmerzen. Sie waren zu zerbrechlich. Zu sterblich.
»Ich bin so glücklich, Adam. Sie ...«, Cem rang nach den richtigen Worten.
»... bedeutet dir alles«, beendete Adam den Satz.
Es war zu spät. Zu spät für Warnungen. Sein Freund war verheiratet. Gebunden. Aber Mensch oder nicht, Victoria war nun mal Cems Frau, die wichtigste Person in seinem Leben. Es spielte keine Rolle, dass Adam das Ganze für einen schlimmen Fehler hielt. Es war geschehen. Und jetzt würde er dafür sorgen müssen, dass Victoria nichts zustieß.
»Und was jetzt?«, fragte er ironisch.
Cem schmunzelte, aber seine Augen blieben
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