Unsterbliches Verlangen
umfriedeten Raum. Der Kamillenrasen in der Mitte zeigte keinerlei Spuren von Dixies schmählicher Benzinattacke, im Gegenteil, die Natur hatte den Garten zur Gänze zurückerobert. Der verschwiegene Ort gemahnte an uralte Rituale und hatte etwas Geheimnisvolles und nichts Bedrohliches, wie Dixie es empfunden hatte. Allerdings konnte man die vier bemoosten Obelisken, welche die Eckpunkte des heiligen Kreises markierten, leicht mit Penissen aus Granit verwechseln, und auch die in die Mauerplatten eingemeißelten Symbole waren für Dixie unverständlich. Elizabeth schritt die unebenen Wege bedächtig ab; über die zahllosen Risse und Aufwerfungen stieg sie einfach hinweg. In jeder Ecke stand ein Baum: eine Eberesche, eine Eibe, eine Stechpalme und eine Eiche, deren Wurzeln weite Teile des Weges zu sprengen drohten. Die Bäume galten allesamt als heilig, und in dem Wildwuchs auf den Beeten verbargen sich mit Sicherheit allerlei wunderbare Kräuter und Heilpflanzen. Wenn doch nur Adela, ihre Stiefmutter und Lehrerin, das alles sehen könnte. Aber Adela befand sich im Haus von Elizabeth’ Vater in Oregon, dessen Pflege sie übernommen hatte.
Es musste einzelne Mitglieder des Zirkels geben, die diese Pflanzen und ihre Bedeutung kannten. Dieses Mal würde sie es nicht zulassen, dass Ida sich wieder herauswand.
Elizabeth brachte fast eine Stunde damit zu, die Pfade abzuschreiten und die gemeißelten Inschriften zu begutachten. Demnächst einmal würde sie Abpausungen anfertigen, um sie Adela zu schicken. Wie alt war dieser Ort? Auf alle Fälle viel älter als das Haus. Seine Mauern bestanden aus grauem Naturstein und nicht wie die übrigen Mauern des Gartens aus Backstein. Die Statuen und Bildwerke, die einmal die Nischen in der Nord- und der Südmauer gefüllt hatten, waren längst verschwunden. Wohin? Waren die langen Simse in der Ost- und der Westmauer ehemals Altäre gewesen? Dies war zweifelsohne ein heiliger Ort, und umso schlimmer war die Blasphemie, dass man ihn in böser Absicht missbraucht hatte. Musste wohl auf eine direkte Eingebung der Göttin zurückzuführen sein, dass Dixie aufgestanden war, um Kit zu retten.
Aber so sehr sie der Garten auch faszinierte, musste sie nun doch los, wenn sie Ida noch sprechen wollte. Nur noch eine Runde an den alten Mauern entlang und … aber als Elizabeth am westlichen Altar Halt machte, fiel ihr an einer über den Pfad reichenden Wildrosenranke ein Büschel Haare auf. Sie zog das weiche, gelbbraune Gespinst von dem Dorn, rieb es zwischen den Fingern und rätselte. Das waren keine menschlichen Haare. Die fühlten sich anders an. Es waren eindeutig Tierhaare.
»So ganz gefällt mir diese Sache nicht, Justin!«
Justin lächelte süffisant. Das konnte er ungestraft tun, wenn sich Tom am anderen Ende der Leitung und nicht ihm gegenüber im Zimmer befand. »Aber du hast sie ziehen lassen.«
Interessant, wie sich so ein Wortschwall anhörte, wenn er durch eine Glasfaserverbindung verzerrt wurde. »Als ob ich sie an irgendetwas hindern könnte! Das weiß du so gut wie ich!«
Tom lernte dazu. Was für ein Fortschritt. Justin verkniff sich jeglichen Sarkasmus. »Stimmt, und Elizabeth hat nun wirklich genug gesunden Menschenverstand.«
Justin stellte sich vor, wie Tom zustimmend nickte. »Mag sein, aber sie hat auch genug Sturköpfigkeit und Draufgängertum. Mich verfolgt die Vorstellung, dass sie in diese Hexenkreise gerät und ihr was zustößt.«
»Tom, denk doch mal ein bisschen nach. Wir alle wissen, wie stark Elizabeth ist. Du hast es selbst gesehen. Sogar Gwyltha war beeindruckt, und wir wissen doch beide zur Genüge, dass kaum etwas unserer furchtlosen Führerin Respekt abnötigt. Von daher habe ich meine Zweifel, ob jemand Elizabeth ernsthaft bedrohen kann. Dazu kommt, dass dieser Zirkel in Bringham wenig Erfahrung hat. Ihr einziger Versuch, sich die Magie zunutze zu machen, wurde von Dixie durchkreuzt. Und die hatte, außer ihrem Instinkt, keine Ahnung, wie man ihnen beikommen könnte. Wirklich geschadet haben sie ihren Mitmenschen nur mit normalen Methoden. Egal welche Tricks der Rest der Bande noch in petto hat, ich bin mir sicher, Elizabeth weiß sich dagegen zu wehren. Und der Urheber allen Übels scheint ja sowieso dingfest gemacht zu sein.«
»Du hast recht.« Justin hatte Toms Kopfschütteln vor Augen und wie er dabei lächelte. »Aber Sorgen mach ich mir trotzdem.«
»Natürlich musst du das, alter Junge. Du bist verliebt. Da macht man sich immer Sorgen –
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