Unsterbliches Verlangen
der Einfahrt lotsen. Sobald sein Auto nicht mehr zu sehen war, stieg Antonia stirnrunzelnd in ihren Van. Sie hatte ja schon erwartet, über kurz oder lang seine Bekanntschaft zu machen, und er entsprach so ziemlich genau Dixies Beschreibungen, aber wozu, bei Abel, schlich er um das Haus herum? Immer vorausgesetzt natürlich, dass es nicht vielleicht doch einen Jeff Wellow unter den Bauarbeitern gab, die gerade die alten Kohleschuppen und die alte Garage abrissen.
Aber was waren das für Gedanken. Unwahrscheinlich. James war ein Schurke, wie er im Buche steht, und konnte einfach nichts Gutes im Schilde führen, aber was auch immer er vorhatte, fürs Erste hatte sie dem einen Riegel vorgeschoben. Höchste Zeit, nach Leatherhead zu fahren, um mit der Lokalpresse zu sprechen.
* * *
James ließ ihr zehn Minuten Zeit und kehrte dann um. Dieses Mal nahm er den schmalen, ungepflasterten Fahrweg neben Orchard House und parkte zwanzig Meter dahinter. Sogar den Weg um das Haus herum konnte er sich sparen. Wozu gab es die Tür in der Mauer und die Schlupflöcher in der alten Hecke? So verwildert wie der Garten zurzeit war, würde er ohne Probleme hineingelangen. Aber verflixt und zugenäht, diese Lady hatte es faustdick hinter den Ohren! Ließ ihn eiskalt auflaufen mit seinem Jeff Wellow. Okay, der Einfall war mehr als seicht, aber die meisten wären darauf hereingefallen. Wer wusste denn schon, wie seine Arbeiter hießen?
Miss Stonewright hatte jede Menge Grips in ihrem hübschen Köpfchen. James grinste. Sein lieber Onkel hätte sie ebenso sehr verachtet wie er Dixie verachtet hatte. James konnte nicht umhin, sie vorübergehend zu bewundern. Aber jetzt im Moment musste er die alte Tür oder eine Lücke in der Hecke finden.
Die Lücke fand er zuerst. Schmäler als er gehofft hatte, aber trotzdem quetschte er sich durch, nachdem er zum Auto zurückgegangen war und sein Jackett dortgelassen hatte. Er durchquerte den verwachsenen Küchengarten und das knöchelhohe Gras im Obstgarten, bis er schließlich vor der halb geöffneten Tür des ummauerten Gartens stand. Wer war hier drin gewesen? Diese Stonewright? Oder vielleicht die andere? Zur Hölle, er hatte ihren Namen vergessen, wenn er ihn denn je gewusst hatte. Diejenige, auf die Mildred und John so schlecht zu sprechen waren.
Na und wenn schon! Jetzt gerade war sie nicht da. Die Arbeiter würden sich nicht so weit von der Baustelle entfernen, und er war alleine und konnte sich frei bewegen.
Er ging durch die Tür und beugte sich hinunter, um mit den Händen über den ungepflegten Kamillenrasen zu streifen. Der Duft führte ihn in seine Kindheit zurück. Das gestrige Nachdenken über seine Mutter hatte ihn veranlasst, heute hierherzukommen. Er konnte ihre Anwesenheit beinahe spüren, war wieder sechs Jahre alt, und ihre Hand hielt zärtlich die seine.
»Es gibt so viel zu lernen, Jimmie«, sagte sie. »Die Misses Underwood bringen mir alles bei. Aus dem Grund komme ich hierher, wenn du in der Schule bist. Ich werde alles lernen, was nur möglich ist, und wenn du groß bist, gebe ich mein Wissen an dich weiter.«
»Welches Wissen denn, Mummy?«, hatte er gefragt.
»Das geheime Wissen der Alten. Wie man zu Macht und Erkenntnis gelangt«, hatte sie geantwortet. Wenige Monate später sollte sie sterben.
Und er sollte nie etwas von ihrem Wissen erfahren. Die Underwood-Damen waren senile Greisinnen, als er alt genug dafür gewesen wäre; die anderen alten Schachteln des Zirkels hatten ihm nie vertraut und sein Onkel hatte ihn immer nur herumkommandiert und beschimpft.
Und seine Mutter gab es nicht mehr. Sie war tot und hatte ihr Wissen mit ins Grab genommen.
Er ging auf die nächstliegende Mauer zu und strich mit den Fingern über das verwitterte Steinrelief, eine Abbildung des Siegels Salomons. Er konnte seine Mutter regelrecht hören, wie sie ihm erklärte, dass die obere Spitze das Element Feuer repräsentierte, die untere das Element Wasser. Seltsam, dass er sich nach all der Zeit daran erinnerte. Seltsam auch, dass er den fünfzackigen Stern an der nächsten Wand als Druidenfuß identifizierte und dass die Gravur an der gegenüberliegenden Wand den grünen Mann darstellte.
Es gab so viel hier, was Sebastian einfach ignoriert hatte. James schritt die unebenen Pfade ab, vermied aber den Mittelpunkt des Rasens. Dieser Zwischenfall war der sichere Beweis dafür, dass der gute alte Sebastian nicht mehr richtig tickte. Auf die Idee zu kommen, ausgerechnet einen Vampir zu
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