Unsterbliches Verlangen
opfern, um dessen Macht zu übernehmen! Vom heutigen Standpunkt aus war das der reine Irrsinn, aber alle waren sie dem alten Spinner bedingungslos gefolgt.
Und er auch, wie er zu seiner Schande gestehen musste. Wenn er gewusst hätte, was genau Sebastian mit Marlowe und diesem Krüppel Vernon vorgehabt hatte, hätte er ihm dann widerstanden? Diese Frage hatte ihm schon einige schlaflose Nächte eingebracht. Gut, Marlowe war es irgendwie gelungen, zu entkommen. Wer glaubte schon diesen Vampirunsinn? Aber Vernon war bei dem Brand ums Leben gekommen, und den armen Tropf Marlowe hatte man dafür verantwortlich gemacht. Wenigstens hatte Onkel Sebastian seine wohlverdiente Strafe bekommen.
Er schüttelte den Kopf. Und nun?
Zum Teufel, wenn er das wüsste! John war wie besessen von dem Gedanken, diese neue Besitzerin könnte Ärger machen, wohingegen er, James, einfach nur seine Ruhe haben wollte. Er ging die Wege entlang, wich den ausgewachsenen Ranken einer Wildrose aus und setzte sich schließlich auf einen der Mauersimse. Es war still hier und vollkommen friedlich. Er schloss die Augen und versuchte sich an die Stimme seiner Mutter zu erinnern.
»Alles klar, Mum?«, fragte Sam auf gut Britisch.
Stella war sich nicht sicher, ob sie seufzen oder lachen sollte. Sam wurde wirklich immer mehr britisiert. Oder hieß es britannisiert? Sie wusste es nicht. Dabei sollte sie froh sein, dass er sich so problemlos eingewöhnte angesichts ihrer Bedenken, die sie anfangs wegen des Umzugs von Ohio nach Yorkshire gehabt hatte. Sam jedoch war so schnell angekommen in Havering, als wäre er dort geboren. Sie war diejenige, die Heimweh hatte und immer noch leicht fremdelte.
Der Himmel wusste warum. Sie hatte ein wunderbares Leben, einen guten Ehemann und einen traumhaften Liebhaber. Und sie war, dank Justin, lebendig und keine vermodernde Leiche. Sie war insgesamt glücklich und zufrieden. Nur manchmal überfielen sie Gelüste nach knusprig gebratenem Speck und oder einer dicken Portion Eiscreme, und dass man hier auf der »falschen« Straßenseite fuhr, war ihr noch immer nicht geheuer. Heute lief es nicht schlecht. Wenn man erst auf der Autobahn war, schwamm man einfach mit dem Verkehr in Richtung Süden mit, aber es hatte doch ein paar Situationen auf verlassenen Landstraßen gegeben, in denen sie auf die rechte Seite geraten war, bis ihr ein rumpelnder Traktor oder ein wütender Autofahrer entgegenkamen.
»Alles klar, Sam. Dürfte nicht mehr weit sein, wenn wir von der Autobahn runter sind.« Und dann würde der Spaß richtig losgehen, denn sie musste durch eine Kleinstadt und mehrere Dörfer – und alle, soviel sie wusste, voll mit verwinkelten Gassen, verstopften Hauptstraßen und Kreiseln. Überhaupt diese Kreisel! Würde sie sich je daran gewöhnen?
»Ich kann’s kaum noch erwarten, Mum. Hoffentlich gefällt Angela gefällt das Geschenk, das wir für sie gekauft haben.«
»Bestimmt. Aber Angela heißt jetzt Elizabeth. Denk dran, Sam.«
»Mach ich, Mum. Ich vergess es nur immer wieder, weil ich sie so lange als Angela gekannt habe.«
Die paar Monate! Stella lächelte. Als Kind und als Sterblicher hatte er ein anderes Verhältnis zur Zeit. Aber als Kind mit Vampireltern? Darüber konnte sie sich jetzt beim Fahren keine Gedanken machen.
»Schau, Mum.« Sam deutete auf den Wegweiser vor ihnen. »Leatherhead. Hier müssen wir runter von der Autobahn.«
»Alles klar, Sam.« Sie setzte den Blinker und wechselte auf die Abbiegespur.
»Warum heißt es eigentlich Leatherhead?«
Gute Frage. »Keine Ahnung, Sam. Vielleicht kriegen wir das ja demnächst raus.«
»Alle Ortsnamen sind komisch – Leatherhead, Bringham oder womöglich Dorking?« Er lachte dreckig. »Für mich spinnen die hier ein bisschen!«
»Und Havering ist nicht komisch? Oder Pickering? Oder Scagglethorpe?«
Ganz war er nicht ihrer Meinung. »An die Namen hab ich mich doch gewöhnt.«
Beim Verlassen der Autobahn bremste sie ab und folgte Sams Richtungsanweisungen. So weit, so gut. Sie kamen an Leatherhead vorbei, was hieß, dass die Richtung stimmte, und die Straße verlief sogar einigermaßen gerade. Gerade im richtigen Moment tauchte eine Tankstelle vor ihnen auf. Sie hielt an, füllte den Tank und ging hinein, um zu zahlen. Sam blieb im Auto sitzen. Sie hatte wieder mal Glück. An der Kasse stand eine Schlange von mehreren Leuten. Zeit genug, um noch schnell ein paar Penguin-Riegel für Sam mitzunehmen – danach war er fast süchtig geworden. Sie
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