Unter alten Bannern (Die Chroniken von Vanafelgar) (German Edition)
Seine Cousine dachte mehr an Tankrond als daran, dass ihre Mutter toben würde, wenn sie erfuhr, dass er abgehauen war. Fenja schickte einen Wunsch zum Himmel empor, der Tankrond alles Glück bringen sollte, das die Welt zu bieten hatte. Bis zuletzt hatte sie in den vorangegangenen Tagen versucht, ihn aufzuhalten und von seiner Fahrt abzubringen. Leider erfolglos. Als das Schiff ganz verschwunden war, ging sie zurück nach Hause. Am Nachmittag würden die Kinder zu Neithar zum Unterricht gehen. Spätestens dann würde das Verschwinden Tankronds auffallen, wenn nicht sogar schon beim Mittagessen. Es kam nur selten vor, dass sich eines der Kinder verspätet zu dieser Mahlzeit einfand, aber es konnte durchaus passieren. Tankrond war in der Regel pünktlich gewesen, und wenn er dann immer noch nicht da war, wenn sie zu Neithar gingen, würde Nimara sicher wissen, dass etwas nicht stimmte. Ihre Mutter hatte ein Gefühl für solche Dinge. Aber auch das konnte nichts mehr daran ändern, dass Tankrond nun weg war. Sie hielt es für ausgeschlossen, dass ihn jemand zurückbringen konnte. Außer ihr wusste ja keiner, wo er hinwollte. Sein Geheimnis war bei ihr sicher gewesen und sie hatte es niemandem verraten.
Ihre Mutter würde jedoch sicher vermuten, dass Fenja wusste, wohin ihr Cousin gegangen war. Es würde großen Ärger geben, wenn sie ihr es dann nicht sagte, wusste Fenja. Sie hatte beschlossen, nicht zu lügen. Es blieb ihr daher nichts anderes übrig, als zu schweigen, wenn es soweit war. Jetzt fürchtete sie sich ein bisschen vor dem Zorn ihrer Mutter, denn ihr Schweigen würde Nimara in den Wahnsinn treiben. Sie hasste Unausgesprochenes und verlangte immer von jedem, reinen Tisch zu machen und mit nichts hinter dem Berg zu halten. Ihre Mutter liebte Tankrond wie einen eigenen Sohn, das wusste Fenja. Sie konnte nur hoffen, dass es ihr nicht das Herz brach, falls ihm nun etwas zustieß. doch selbst wenn dies passieren mochte, so würden sie es niemals erfahren. Niemand wusste ja, wo der Junge hingehörte, der nun an Bord des Schiffes in die Welt hinaus fuhr.
Tankrond, der noch immer in der Ferne den Hafen Schwarzenbergs erkannte, wurde vom Schiffskoch aus seinen Gedanken gerissen.
»Ist das der Bengel, der mir zur Hand gehen soll?«, fragte er missmutig einen der anderen Seeleute, die etwas entfernt von Tankrond an der Takelage hantierten. Als ihm dieser bestätigte, dass Tankrond der war, für den der Koch ihn hielt, fuhr er ihn barsch an. »Los du Faulpelz, komm mit hinunter in die Kombüse, dort wartet Arbeit auf dich.«
Tankrond kam der Aufforderung des Mannes sofort nach und folgte ihm über eine Stiege in den Bauch des Schiffes. Schnell drang ihm ein übler Gestank in die Nase, dass es ihm fast schlecht wurde. Er presste sein Bündel fester an sich, denn er sah im Halbdunkel einen alten Mann sitzen, der schrecklich aussah. Ihm fehlte ein Auge und auch ein Bein war unter dem Knie nicht mehr vorhanden. Der Mann sah ihm im Vorbeigehen in die Augen, bevor er sich wieder seiner Arbeit zuwandte. Tankrond war, als ob dieser ein Netz flickte, doch er war zu schnell an ihm vorbei, um das genauer zu erkennen. In der Kombüse angelangt, wies der Koch ihm einen Sack Kartoffeln.
»Die kochst du hier ab«, er zeigte zur Kochstelle, »und dann schälst du sie, verstanden?« Tankrond nickte nur, denn der Koch schien kein freundlicher Mensch zu sein. Er hatte verschlagene kleine Augen und machte wie der Rest der Mannschaft einen ungewaschenen Eindruck.
»Wo soll ich meine Sachen hinstellen?«, fragte Tankrond, der darauf hoffte, dass der Koch ihm auch gleich seine Schlafstelle an Bord zuwies. Doch dieser tat nichts dergleichen.
»Kümmre dich um die Kartoffeln«, blaffte er nur. Er murmelte noch etwas vor sich hin, was Tankrond nicht verstand, und verließ die Kombüse. Tankrond war nun allein und fühlte sich auch so. Am liebsten hätte er seine Fahrt abgebrochen. Doch dafür war es zu spät.
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