Unter dem Feuer - Silvanubis #1 (German Edition)
erwecken. Der ihrer Eltern lag, wie so vieles andere, unter den Trümmern begraben. Natürlich war für so einen Luxusartikel kein Geld übrig.
Anna würde ihn nicht fragen, wie er dieses kleine Wunder zustande gebracht hatte. Radios zu bekommen, war momentan mehr als schwierig. Doch der Heinzelmann war ein Bausatz, an den man, vorausgesetzt das nötige Kleingeld stand zur Verfügung, schon eher herankam. Anna hatte gehört, dass man sich trotzdem noch Elektroröhren auf dem Schwarzmarkt besorgen musste, um das Radio zum Laufen zu bringen. Und dort kannte sich Peter bestens aus. Sie wollte wirklich nicht wissen, wie er an all die kleinen und großen Schätze gelangte und welche zwielichtigen Händler und Ganoven in seiner Wohnung ein und aus gingen. Anna betrachtete den hässlichen braunen Kasten.
»Funktioniert es, Peter?«
Peter schmunzelte. »Das will ich doch hoffen.« Er stellte das Radio auf den Boden und drehte an einem der drei großen schwarzen Knöpfe. Erst knisterte und surrte es leise und plötzlich trällerte ihnen Wochenend und Sonnenschein entgegen. Erins Augen weiteten sich vor Staunen, doch Edmund kniff ihr neckend in die Wange.
»Willkommen in der Welt der unendlichen Möglichkeiten, Schwägerin. So hast du dir das schon eher vorgestellt, nicht wahr?«
Erin hörte ihn nicht, konnte ihre Augen nicht von dem hölzernen Zauberkasten lösen. Wie ein kleines Kind … Anna gönnte Erin diese Freude von ganzem Herzen. Für einen winzigen Augenblick waren alle Sorgen und Ängste verschwunden. Sorgen, wie in den verbleibenden Wochen vier Personen mit zwei Lebensmittelkarten satt werden sollten, die Grübelei, ob und wann sie die Rückreise wagen würden und vor allem die Angst um Alexander. Sie ergriff Edmunds Hand und zog ihn hinter sich her in die Mitte des kleinen Zimmers.
»Dann wollen wir mal sehen, Ed, ob du häufig genug hier gewesen bist, um mit mir eine flotte Sohle aufs Parkett zu legen.«
Der verdutzte Okeanid folgte Anna widerstrebend, doch zu ihrer Verblüffung legte Edmund schließlich zögernd die rechte Hand um ihre Taille und griff mit seiner Linken nach ihrer Rechten. Elegant bewegte er sich nach der Musik, übernahm sicher die Führung. Peter drehte den Lautstärkeregler bis zum Anschlag nach rechts und Erin klatschte begeistert in die Hände. Als die Musik verhallte, entließ Edmund Anna mit einem formvollendeten Diener. Er lehnte sich mit einem zufriedenen und äußerst unbescheidenen Lächeln mit verschränkten Armen gegen die Wand. Anna ließ sich atemlos auf den Bettrand fallen und Peter grinste übers ganze Gesicht.
»Na, sag mal, Anna. An dir ist ja ein echtes Tanztalent verloren gegangen. Von Edmund ganz zu schweigen. Wer hätte das gedacht.«
Peter setzte sich neben Erin, die verzückt mit den Füßen tappte, und ergriff ihre Hand.
»Wie wär’s Erin, was hältst du davon, wenn wir die beiden allein losschicken? Um Fleisch kümmere ich mich eben morgen. Ich hole uns ein schönes Brettspiel aus dem Regal, daran mangelt es uns ausnahmsweise nicht, und wir machen uns einen gemütlichen Nachmittag. Was denkst du?«
Erin lächelte erleichtert, noch immer das Buch in den Händen. Sie drehte sich zu Edmund und Anna um. »Es tut mir wirklich leid. Ich weiß auch nicht, welcher Teufel mich geritten hat, als ich hinter euch hergelaufen bin. Ich sehe ja, wie schwierig hier alles ist. Und um auf deine Frage zurückzukommen, mein lieber Edmund … Nein, so hab ich mir das nicht vorgestellt, wirklich nicht. Hätte ich gewusst, wie knapp es ist … Und jetzt müsst ihr mich auch noch mit durchfüttern.«
Edmund stellte das Radio aus und legte seine große Hand auf Erins schmale Schulter. »Anna hat recht, Erin. Ich habe dir genug Vorwürfe gemacht. Es ist wichtig, dass du so schnell wie möglich wieder an Kraft gewinnst. Du möchtest doch nicht ohne uns hierbleiben, wenn wir es wagen können, nach Silvanubis zurückzukehren, oder?«
Erin erblasste, doch schließlich brachte sie ein schiefes Lächeln zustande. »Nein, wahrlich nicht. Aber ein wenig von Annas Welt möchte ich trotzdem noch kennenlernen, wenn es geht. So ganz umsonst will ich nicht hier gelandet sein.«
Kapitel 23
Unter dem Feuer
B lutrote Funken sprühten über den Dächern, tropften vom Himmel und verglühten. Die weitläufigen Kreise wurden enger, zogen sich wie eine Spirale zusammen, bis der Phönix über einem Dach hin und her segelte. Die breiten, langen Flügel ausgestreckt, nutzte der
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