Unter dem Feuer - Silvanubis #1 (German Edition)
waren eindeutig zu viele Fragen und unbequeme dazu. Anna strich sich vorsichtig über den Verband, der immer noch ihre rechte Hand zierte. War es erst gestern, dass der Phönix sie gefunden und Noah sie versorgt hatte? Gestern oder vorgestern, die Zeit begann ein Eigenleben zu führen. Behutsam löste sie das nicht mehr ganz weiße Leinentuch. Sie war neugierig, ob die Wunde heilte. Vielleicht brauchte sie ja keinen neuen Verband, sie spürte die Verbrennung, die die Feder verursacht hatte, eigentlich gar nicht mehr. Sie rollte den schmalen Leinenstreifen zusammen und stellte fest, dass die Wunde trocken und sauber war. Auch Peter beugte sich gespannt über ihre Hand und fuhr sichtlich zusammen, als er die rote Spur sah, die die Feder dort hinterlassen hatte.
»Ich …«, stammelte er, sichtlich aus der Fassung gebracht. »Anna, du …? Eine Phönixfeder. Mein Kind, warum bist du zurückgekommen? Wenn es das ist, für was ich es halte, dann gehörst du nicht hierher. Da hast du die Antwort auf all deine Fragen. Schließ den Laden und geh zurück. Ich werde dich begleiten, wenn es dir nicht gelingen sollte, die Passage allein zu durchschreiten. Obwohl ich das nicht glauben mag.«
Es schmerzte Anna, ihren alten Freund so aufgeregt zu sehen. Er hatte sein Zuhause, seine Heimat vor Jahren bereits aufgeben. Für sie? Anna sah sich um in ihrem kleinen Zimmer. Fast war es gemütlich zwischen all den zusammengewürfelten Möbelstücken, den Regalen mit dem Spielzeug, das ihr Vater noch hergestellt hatte. Sie stand auf, griff nach einem der Holzautos und strich beinahe liebevoll über die glatte Oberfläche. Wortlos reichte sie es Peter und setzte sich wieder. »Da ist jemand, dem hab ich so ein Auto versprochen, an dem Tag, als ich …«
Peter nickte. »Ich weiß, Anna. Bauer Carlson hat das Auto und die Puppe bekommen. Das Besteck habe ich zurück in die Schublade gelegt.«
Annas Kopf fuhr herum. »Woher in aller Welt wusstest du das, Peter?«
Der alte Mann grinste stolz. »Natürlich hab ich dich gesucht, Kleines. Glaubst du, ich habe einfach die Hände in den Schoß gelegt, als du abends vom Hamstern nicht zurückgekehrt bist? Ich hab mir schon gedacht, dass du beim alten Carlson vorbeischauen würdest.«
»Du hast dich gesorgt, Onkel Schubert, nicht wahr?«
Peter zog die Stirn in Falten und nickte brummend. »Nun ja, ein wenig schon. Du warst schließlich wie vom Erdboden verschluckt. Doch dann ist mir die Passage im Wald eingefallen.«
Anna schnappte nach Luft. Natürlich kannte er diese Stelle auch.
»Und dann …«, Peter ignorierte ihren fassungslosen Gesichtsausdruck, »musste ich an deinen Traum denken. Ich war mir nicht sicher, aber es bestand auf jeden Fall die Möglichkeit, dass du drüben gelandet warst. Ein- oder zweimal hab ich sogar darüber nachgedacht, dich dort zu suchen.«
Anna verdrehte die Augen. »Aber das hast du nicht.«
»Nein, Anna, das habe ich nicht, ich war mir sicher, solltest du tatsächlich drüben sein, würdest du zurückkommen, und sei es nur, um hier richtig Abschied zu nehmen.«
»Du bist auch nicht zurückgekommen, Peter, damals«, warf sie ein. Peter griff nach ihrer Hand und sah sie an.
»Das stimmt. Aber ich war frei, hatte nichts, was mich hier hielt. Ich bin guten Gewissens dortgeblieben.«
»Und du meinst, ich bin nicht frei?« Sie zog die Hand zurück und fuhr sich durch die Haare. Die Kopfschmerzen waren wieder da. »Was hält mich denn hier? Außer dir natürlich«, fügte sie hinzu.
Peter grinste schief, doch schnell war das Funkeln aus seinen Augen verschwunden. »Sie halten dich hier, Anna. Du musst sie loslassen, Kleines. Lass sie gehen. Das würden sie nicht wollen.«
Eine kalte Faust hämmerte zwischen ihre Schulterblätter. Plötzlich wusste sie, Peter hatte recht. So sehr sie sich auch wohlgefühlt hatte bei Bridget und Richard, irgendwann wäre sie zurückgekehrt. Anna starrte auf das kleine Holzauto, das zwischen ihr und Peter auf dem Tisch stand. Ihre Eltern, sie waren in jedem Winkel, überall im Sonneneck. Und doch war es nicht mehr als ein kleiner Laden, ein Haus. Es war nicht ihr Heim, das war es nie. Ihr Heim verlor sie in der Nacht, als die Bomben fielen. Alexander hatte es gewusst. In Silvanubis hatte sie ein neues Heim gefunden. Dort gehörte sie hin. Außerdem war ihm klar, in welcher Gefahr sie sich befand, dass sie ihr Leben riskierte mit jedem Tag, den sie länger dort blieb. Ebenso wie er. Anna schluckte. Alexander … Sie
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