Unter dem Feuer - Silvanubis #1 (German Edition)
gewaltige Vogel den Aufwind, um Höhe zu gewinnen. Fast stand er über dem Haus, das glühende Feuer erhellte die Nacht. Dann ertönte der Schrei, schrill und markerschütternd durchbohrte er die Stille und der Vogel zerfiel zu Staub. Die Mauern stürzten ein, doch ein Haus stand noch, der Mittelpunkt der Spirale, das Auge des Sturms. Das Donnern der Zerstörung verstummte, es war dunkel, doch am Horizont begann es, sanft zu glimmen. Sterne erhellten das Firmament. Stille, kein Laut war zu hören, die Ruinen verschwanden hinter dem schwarzen Vorhang der Nacht, sodass das unstete Flackern hinter den Fenstern des unversehrten Hauses umso heller wirkte. Licht und Wärme zwischen Elend und Verwüstung.
Jemand schrie. Verzweifelte, gellende Schreie. Keuchend schnappte sie nach Luft. Etwas raubte ihr den Atem, lag zentnerschwer auf ihrer Brust. Sie erstickte. Anna ruderte mit den Armen, schlug um sich, griff ins Leere. Das Licht, es gelang ihr nicht, es zu erreichen. Gleich würden ihre Lungen platzen, ihr Herz zerspringen. Sie fiel … wie die Asche … ging unter. Verzweifelt streckte sie ihre Hand aus, und dann griff jemand zu, hielt sie fest, zog sie empor, befreite sie aus der Dunkelheit.
»Anna!«
Ein schwaches Licht drang durch ihre halb geöffneten Augenlider.
»Anna, um Himmels willen, hör auf zu schreien.«
Sie presste die Lippen aufeinander, das Schreien verstummte und sie stellte fest, dass es aus ihrem Mund gekommen war. Vorsichtig öffnete sie die Augen und hielt sich benommen an der Bettkante fest, als sie feststellte, dass Erin neben ihr saß und ihr stützend unter die Arme griff.
»Du meine Güte, Anna. Du hast geschrien, als ob der Teufel persönlich hinter dir her ist.« Erin schüttelte sich. »Ich will so etwas nie wieder hören.« Die Stimme ihrer Freundin bebte. »Ist alles in Ordnung?«
Anna setzte sich auf und versuchte, sich mit tiefen Atemzügen zu beruhigen. »Es geht schon, Erin. Es tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken.«
Erin erhob sich, suchte eine Tasse und füllte sie mit Wasser. »Hier, trink einen Schluck. War es der Phönix?«, fragte sie leise.
Anna nickte. »Es war schlimmer als sonst. Ich … ich dachte, die Träume wären vorüber.«
Sie sah sich um. Die dicke braune Kerze flackerte munter vor sich hin, Erin musste sie angezündet haben. Stromsperre wahrscheinlich. Immer noch hallte das Donnern der einstürzenden Häuser in ihren Ohren, begleitet von dem unmenschlichen Schrei des Vogels. Die Nacht hatte schließlich alles verschluckt, alles bis auf das Licht, das eine Haus. Plötzlich fröstelte es sie. Sie kannte das Haus, sie war sich ganz sicher. Endlich war sie nicht zu früh aufgewacht. Anna spürte, wie das Blut aus ihrem Gesicht wich. Das war es, das letzte Puzzleteil, endlich verstand sie. Das Licht … es hatte hinter den Fenstern des Sonnenecks geflackert. Mit zitternden Händen griff sie nach der Tasse und leerte sie in einem Zug. Es war hier, genau hier. Mit einem Satz war sie aus dem Bett. Erin runzelte besorgt die Stirn.
»Es ist hier, Erin. Es ist mehr als nur die Verbindung zu Silvanubis. Irgendetwas ist hier, und er will es mir zeigen.«
Fürsorglich griff Erin nach ihrer Hand und drückte Anna sacht aber bestimmt in einen der wackligen Holzstühle. Sie füllte die leere Tasse nochmals mit Wasser, schob sie in Annas Hände, die nun so heftig zitterten, dass die Hälfte des Wassers auf den Tisch schwappte. Erschrocken schob Erin die Tasse zur Seite und ließ sich auf den Stuhl neben Anna fallen.
»So beruhige dich doch, Anna. Was ist hier, und wer will dir etwas zeigen? Der Phönix?«
Anna nickte heftig, verknotete die bebenden Hände ineinander. »Alles ist eingestürzt, aber nicht das Sonneneck. Hier brannte Licht. Erin, ich glaube, endlich verstehe ich. Der Phönix …« Sie suchte nach Worten. »Es geht nicht nur darum, dass er mich, höchstwahrscheinlich, von hier nach dort bringen kann. Das allein ist es nicht, er will mir etwas zeigen.« Sie sprang auf und zog ihre Freundin mit sich. »Zieh dir was an, Erin. Ich werde es finden und wenn ich die ganze Nacht suchen muss.«
Ihre Hände gehorchten ihr immer noch nicht, als sie in der Kommodenschublade kramte und schließlich den Vorrat an Kerzen auf den Tisch legte. »Scheiß Stromsperre. Egal, die reichen schon.«
Erin beobachtete sie mit fassungslosem Gesichtsausdruck. Anna hatte Jeans und Hemd angezogen und wartete darauf, dass sie es ihr gleichtat. Erin verdrehte die Augen.
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