Unter dem Georgskreuz
nicht immer so, wie es sich gehörte.
Avery leerte das Glas und hatte nichts dagegen, als Catherine es wieder füllte. »Ein paar Kutschen und Wägelchen habe ich von der Straße getrieben.« Er bemerkte Bolithos Gesichtsausdruck und fügte sanfter hinzu: »Ich war nicht im Gerichtssaal, Sir Richard, aber er wußte, daß ich da war. Ihr Neffe ging dann zum Hafenadmiral. Es hieß, er habe einen ausgedehnten Urlaub bewilligt bekommen. Das ist alles, was ich an Information habe.«
Bolitho sah Catherine an und lächelte. »Siebzig Meilen auf dunklen, gefährlichen Straßen. Wer würde das sonst noch tun?«
Sie nahm Avery das Glas aus der gefühllosen Hand, als er gegen das Kissen gesunken und eingeschlafen war.
Leise antwortete sie: »Deine Männer, Richard… Hast du jetzt Ruhe?«
Als sie wieder im Schlafzimmer standen, konnten sie den Fluß sehr deutlich erkennen und auch Menschen, die schon unten auf der Straße liefen. Es war unwahrscheinlich, daß jemand die plötzliche Ankunft der Kutsche oder den großen Marineoffizier bemerkt hatte, der an die Tür klopfte. Und wenn, würden sie nichts damit anfangen können. Hier in Chelsea kümmerte man sich vor allem um seine eigenen Angelegenheiten und sonst um wenig mehr.
Zusammen sahen sie zum Himmel auf. Bald würde es Tag sein, wieder ein grauer Januarmorgen. Doch dieser Tag wäre ganz anders.
Sie hielt seinen Arm an ihrer Hüfte fest und sagte: »Vielleicht ist dein nächster Besuch in der Admiralität für eine Weile dein letzter!«
Er spürte ihr Haar an seinem Gesicht, ihre Wärme. Sie gehörten einander.
»Und dann, Kate?«
»Bring mich nach Hause, Richard, egal wie lang die Reise dauert.«
Er führte sie zum Bett zurück, und sie lachte, als sie draußen die ersten Hunde bellen hörte.
»Dann kannst du mich lieben. Bei uns zu Hause.«
Vizeadmiral Graham Bethune stand schon, als Bolitho in sein großes Zimmer in der Admiralität begleitet wurde. Sein Lächeln war warm und ehrlich.
»Wir sind heute beide früh auf den Beinen, Sir Richard!« Sein Gesicht wurde eine Spur ernster. »Doch leider habe ich noch keine Nachricht über Ihren Neffen, Kapitän Bolitho. Zwar haben die Telegraphen viele unschätzbare Vorteile, aber gegen unser englisches Wetter kommen sie meistens nicht an.«
Bolitho nahm Platz, nachdem ein Diener ihm Hut und Mantel abgenommen hatte. Er war nur ein paar Schritte von der Kutsche in die Admiralität gegangen, doch der Mantel war schwer vor Nässe.
Er lächelte. »Adam ist in Ehren freigesprochen worden.« Es bereitete ihm Vergnügen, Bethunes Überraschung zu sehen.
Seit Bolithos Ankunft in London hatten sie sich einige Male getroffen, doch er war immer noch überrascht, daß Bethunes neues wichtiges Amt ihn so gar nicht verändert hatte. Äußerlich war er natürlich sehr gereift seit seinen Tagen als Midshipman auf Bolithos erstem eigenen Schiff, der kleinen Kriegsslup
Sparrow
. Der rundgesichtige Junge war verschwunden – ebenso wie seine dunklen Sommersprossen. Er hatte sich in einen scharfsichtigen, verläßlichen Flaggoffizier verwandelt, nach dem sich viele Frauen bei Hofe umdrehten und auch bei vielen anderen gesellschaftlichen Veranstaltungen, die er pflichtgemäß zu besuchen hatte. Bolitho erinnerte sich an Catherines anfängliche Ablehnung, als er berichtete, Bethune sei nicht nur jünger, sondern habe auch einen niedrigeren Rang. Sie war nicht die einzige, die über Entscheidungen der Admiralität verblüfft war.
Er sagte: »Mein Flaggleutnant Avery ritt von Portsmouth her die ganze Nacht, um mir die Nachricht zu bringen.«
Bethune nickte, war mit seinen Gedanken aber schon ganz woanders. »George Avery, o ja. Sir Paul Sillitoes Neffe.« Wieder dieses jungenhafte Lächeln. »Tut mir leid, Baron Sillitoe of Chiswick heißt er ja jetzt. Aber schön, das zu hören. Es war sicher schlimm für Ihren Neffen, Schiff und Freiheit gleichzeitig auf einen Schlag zu verlieren. Und dennoch haben Sie ihn zum Kommandanten der
Zest
gemacht beim letzten Treffen mit den Schiffen von Commodore Beer! Erstaunlich.« Er ging zu einem Tisch hinüber. »Ich habe meinen eigenen Bericht eingereicht, das war ja wohl klar. Auf Kriegsgerichte kann man sich kaum verlassen, wie wir ja selber immer wieder erfahren haben.«
Bolitho entspannte sich etwas. Also hatte Bethune Zeit gefunden, Adams wegen zur Feder zu greifen. Er konnte sich nicht vorstellen, daß einer seiner Vorgänger, Godschale oder vor allem Hamett-Parker, für ihn auch nur einen
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