Unter dem Georgskreuz
Sir!«
»Hat das nicht Zeit?«
Der Leutnant fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. »Man sagte mir, es sei wichtig, Sir. Wichtig für Sie!«
Adam drehte sich um, um sich zu verabschieden. Aber beide waren schon gegangen, so leise und unauffällig, wie sie gewartet hatten.
Er fuhr sich über die Wange. Ihre Tränen oder seine? Dann folgte er dem Leutnant durch all die Menschen hindurch, die ihm zulächelten oder ihn beim Vorbeigehen am Arm berührten. Er nahm keinen wahr.
Er hörte nichts als seine eigene Wut.
Ich habe Ihnen befohlen, mit dem Schiff zu kämpfen.
Das war ein Satz, den er nie wieder vergessen würde.
Lady Catherine Somervell trat leise ans Fenster und sah zurück auf das Bett. Sie lauschte seinem Atem. Stille. Er schlief jetzt nach all der Ruhelosigkeit, die er vor ihr zu verbergen gesucht hatte.
Ihr fiel auf, daß die Nacht sehr ruhig war und jetzt erst der Mond durchkam. Sie griff nach einem schweren Seidenschal, hielt aber inne, als Richard sich auf dem Bett bewegte. Sie sah die gezackten Wolken langsamer ziehen. Mondlicht fiel auf die Straße, die von den Schauern der Nacht immer noch regennaß glänzte. Jenseits der Straße, die die Häuserreihe von der Themse trennte, konnte sie das strömende Wasser des Flusses gerade eben erkennen. Es sah im Mondlicht aus wie schwarzes Glas. Auch der Fluß schien voller Stille, doch so war London: In wenigen Stunden würden auf dieser Straße Händler zum Markt eilen und Leute ihre Verkaufsstände errichten – Regen hin, Regen her.
Sie spürte die Kühle trotz des warmen Schals und fragte sich, was der Tag wohl bringen würde.
Vor gut einem Monat erst war Richard Bolitho nach Hause zurückgekehrt. Die Batterien von St. Mawes hatten Falmouths berühmtesten Sohn mit Salut begrüßt. Ein Admiral Englands, ein Held, der alle begeisterte, die seiner Flagge folgten.
Doch diesmal fand er keine Ruhe. Sein Neffe war vor ein Kriegsgericht gestellt worden, unmittelbare Folge der Tatsache, daß er die
Anemone
an den Gegner verloren hatte. Richard hatte sie beruhigt. Das Urteil würde Adam freisprechen. Doch sie kannte ihn gut genug. Seine Sorgen und seine Zweifel konnte er vor ihr nicht verbergen. Weil er in der Admiralität zu tun hatte, konnte er nicht nach Portsmouth reisen, wo die Verhandlung stattfand. Sie wußte auch, worauf Adam bestanden hatte: dem Gericht allein gegenüberzutreten, ohne jede Hilfe. Adam wußte genau, wie sehr Bolitho Vetternwirtschaft haßte und Manipulationen, Einflüsse von außen. Sie lächelte traurig. Sie waren sich so ähnlich, fast wie Brüder.
Vizeadmiral Graham Bethune hatte Richard versichert, ihn sofort zu informieren, sobald er etwas hören würde. Der schnelle Telegraph zwischen Portsmouth und London würde eine Nachricht in weniger als einer halben Stunde in die Admiralität befördern. Das Gericht war gestern morgen zusammengetreten, doch noch immer gab es keine Nachricht, nur Schweigen.
In Falmouth hätte sie ihn ablenken können, hätte ihn mit den Angelegenheiten seines Besitzes beschäftigt, die sie sich während seiner langen Abwesenheit auf See ganz zu eigen gemacht hatte. Aber man brauchte ihn in London. Der Krieg mit den Vereinigten Staaten, der im letzten Jahr ausgebrochen war, schien an einem Wendepunkt angekommen. Bolitho war in die Admiralität beordert worden, um Zweifel zu vertreiben oder Zuversicht zu verbreiten. Sie fühlte wieder Bitterkeit. Gab es außer ihm niemanden, den man schicken konnte? Ihr Mann hatte genug geleistet und oft genug dafür bezahlt.
Ihr war klar: Sie würden sich wieder trennen müssen. Wenn sie wenigstens nach Cornwall zurückkehren könnten… Bei den heutigen Straßenverhältnissen würde das fast eine Woche dauern. Sie dachte an ihr Zimmer in dem grauen Gutshaus unterhalb von Pendennis Castle, an die Fenster zur See hinaus. Die Ausritte und die Spaziergänge, die ihnen so viel Freude machten. Sie zitterte wieder, aber nicht vor Kälte. Welche Geister würden auf sie warten, wenn sie wieder den Weg entlanggingen, von dem aus sich eine verzweifelte Zenoria in den Tod gestürzt hatte?
So viele Erinnerungen! Die andere Seite der Medaille zeigte Neid und Gerede, ja sogar Haß, der sich auf mancherlei Weise enthüllte, Skandale, die sie beide erlebt und überlebt hatten. Sie schaute auf sein dunkles Haar auf dem Kissen.
Kein Wunder, daß dich alle verehren, man liebster Mann.
Sie hörte Eisenräder rollen, erste Lebenszeichen auf der Straße. Da fuhr jemand ganz bestimmt,
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