Unter dem Räubermond
hoffnungsvoll zurück, stutzte aber sofort: »Moment mal, was nützt es zu baden, wenn man gestorben ist? Lebendig kommt man ja nicht hin …«
Ar-Scharlachi grinste unter dem Schleier. »Darüber schweigt sich der weise Andrba aus …«
2
Richter seines eigenen Schattens
D er Mittag hauchte schon aus heißem Mund auf die kleine Oase, die nach alter Gewohnheit immer noch Ar-Mauras Schatten genannt wurde, aber in dem kleinen Hof aus Stampflehm mit den hohen Wänden, ausgelegt mit hellblauen, von rosenroten Adern durchzogenen Kacheln, war es kühl und dämmrig. Auf dem Laub, das durchhing wie eine Decke unter ihrem eigenen Gewicht, glänzten große Tropfen Feuchtigkeit. Auf den flachen, sauberen Steinen standen durchsichtige Pfützen.
Freiwillig drängte man sich nicht in diesen widerhallenden Hof. Draußen, in den sonnenverbrannten krummen Gassen mit dem weißen Staub und den trockenen Wassergräben, konnte man sich Mut machen, lärmen, den Wildentschlossenen spielen. Hier aber, in der erstarrten Stille und Kühle, überlief einen sogleich ein verspäteter Schauder, und das deutlich vernehmliche Geräusch eines fallenden Tropfens ließ einen zusammenzucken.
Der ehrwürdige Ar-Maura, vormals Gebieter, jetzt aber Richter seines eigenen Schattens, ein großer, massiger Mann, saß, wie es sich für einen Beamten des Herrschers gehörte, nicht auf einem Teppich, sondern auf einem hohen geschnitzten Stuhl. Ein Auge des Richters war verächtlich zusammengekniffen, das andere weit und unbarmherzig geöffnet. Der schneeweiße Schleier war fast bis zur Spitze der krummen fleischigen Nase herabgesenkt. Und obwohl der Ehrwürdige ausschließlich den Angeklagten anschaute, hatte inzwischen zweifellos jeder der Zeugen schon zehnmal bereut, dass er sich auf diese Sache eingelassen hatte.
Der Besitzer des Kaffeehauses (er war es, der die Wächter gerufen hatte) schluckte krampfhaft und rückte seinen Schleier zurecht, zog den Stoff bis zu den Augen hoch. Er schielte ängstlich zur Tür, fing sich aber sofort und blickte wieder den Richter an.
Zu beiden Seiten der schmalen Eingangstür waren zwei nacktfressige Götzen erstarrt – Wächter aus den Vorbergen. Gesichter wie aus Stein. Die metallischen Spiegel der rechteckigen Paradeschilde unbeweglich, als hielten sie sie nicht in Händen, sondern hätten sie an die Wand gelehnt. Ein schamloses Volk, die in Harwa … Alles Intime liegt offen zutage, wie bei den Frauen: Mund, Nase … Pfui!
Ein weiterer nacktfressiger Götze ragte an dem winzigen Springbrunnen auf, ebenfalls reglos, aber aus etwas anderem Grund. Der Herrscher des Einigen Harwa, der unerforschliche und unsterbliche Ulqar, war in seiner üblichen Pose aus Marmor gehauen: der Kopf stolz hochgereckt und leicht zur Seite geneigt, in den Händen ein Bündel Blitze und eine Pergamentrolle mit Edikten. Und auch alle Intimitäten sichtbar. So einen soll man nun verehren …
Der ehrwürdige Ar-Maura aber blickte immerzu den Ange klagten an. Vielleicht verächtlich, vielleicht hasserfüllt. Schließ lich seufzte er und schielte zu dem Kläger hinüber, der sich mit dem Ausdruck höchster Ergebenheit dem Richterstuhl näherte.
»Rede …«, ertönte die gleichgültige, etwas heisere Stimme.
Der Kläger bewegte wie fröstelnd die Schultern und begann, hastig und verworren zu reden: »Dem ehrwürdigen Ar-Maura … möge der Herrscher seine Tugenden würdigen … ist bekannt …« Da fand der Besitzer des Kaffeehauses halbwegs wieder zu sich und fuhr mit vor Kränkung zitternder Stimme fort: »Mein Geschäft ist, wie jeder bestätigen wird, anständig … für respektable Leute … Wenn einer kommt, soll er trinken, würfeln, sich unterhalten … Aber wenn er Lieder singen will, soll er auf die Straße gehen … Nach Hause soll er gehen und dort singen …«
In diesem Moment war es, als habe der Richter seine Augen vertauscht: Das weit offene Auge zog sich verächtlich zusammen, das zusammengekniffene aber öffnete sich raubtierhaft. Den Kläger verblüffte das so sehr, dass er mitten im Wort abbrach.
»Gesungen hat er … Lieder …«, sagte der ehrwürdige Ar-Maura. Sein Gesicht verzog sich irgendwie sonderbar unter dem Schleier, und er fixierte den Angeklagten zornig mit dem Auge. »Und worüber?«
Die Frage traf den Besitzer des Kaffeehauses unvorbereitet. »Äh …« Hilflos blickte er zu den beiden Zeugen und leckte sich die Lippen. »Na … einfach Lieder … irgendeinen Unsinn … und nicht einmal
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