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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jewgeni Lukin
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Gefährten nicht zu bemerken, obwohl sie genau wussten: Es gab nur einen Gott in Harwa, schon seit einem Jahr nur noch einen. Ihm und nur ihm durfte man jetzt Gebete und Dank widmen.
    Ar-Scharlachi hatte gehofft, etwas dösen zu können, doch da brach neben ihm ein heißer und ausnehmend gehaltvoller Disput darüber an, wie viele Menschen ein Kamel tragen konnte. Sagen wir, Ganeb … Als lautester Disputant erwies sich der alte Schiffsläufer.
    »Fünf?«, rief er verächtlich. »Warum nicht gleich vierzig? Fünf, tss, tss!«
    »Ja, wie groß waren die denn? Wie eine Galeere womöglich?«
    »Warum denn nicht?«
    Es ertönte ein ungläubiges Raunen.
    »Und wieso sind sie alle krepiert, wenn sie so kräftig waren?«
    »Darum! Sie haben sie doch über die Berge geführt! Und was sollten sie in den Bergen fressen? Auf den Gipfeln gibt’s nichts als Schnee und Eis!«
    »Also eins verstehe ich nicht«, mischte sich eine weitere Stimme ein. »Na schön, sie waren kräftig, groß wie eine Galeere … Meinetwegen. Aber wie sollte man mit ihnen Waren transportieren? Ballen, Kisten …«
    »Na …« Der Alte zögerte, räusperte sich. »Die haben sie sicherlich unter die Bäuche gehängt …«
    »Und warum nicht auf dem Rücken?«
    »Auf dem Rücken! Auf dem Rücken saßen die Menschen …«
    »In den Hintern hat man sie ihnen gesteckt«, knurrte Ar-Scharlachi, ohne zu überlegen, und staunte über den Ausbruch von Gelächter. Die leise Bemerkung war günstig in der Pause gefallen.
    Die Schiffsläufer lachten brüllend, wieherten. Der Alte versuchte sie zu überschreien, doch ebenso hätte er versuchen können, das Tosen eines Sandsturms zu übertönen. Und dann stand noch jemand halb auf und deutete an, wie die Kamele in diesem Fall entladen worden waren – und wieder brach donnerndes Gelächter los.
    Ebenfalls lachend trat der Eigner zu ihnen, hörte zu.
    »Gottlos bist du!«, ereiferte sich der Alte. »Da sieht man, dass du in Harwa studiert hast, bei den Nacktfressen! Ein Gelehrter! Wie kannst du es wagen? So was zu sagen – über die Kamele! Auf denen sind deine Vorfahren in diese Welt gekommen!«
    »He, he! Mistkäfer!«, warf der Eigner besorgt ein. »Redet von was anderem! Sonst bringt ihr mich tatsächlich noch in die Quecksilberminen …«
    Er konnte nicht zu Ende sprechen, denn im nächsten Moment drängte von der rötlichen Wüste Papalan ein Trugbild heran. Der Horizont schien zu verschwimmen, und am Himmel wogten plötzlich, das unterste zuoberst, die Dünen einer nie gesehenen graugrünen Wüste. Ar-Scharlachi erhob sich langsam vom Teppich. Schon mehrmals hatte er von derlei gelesen und gehört, sah es aber zum ersten Mal. Ringsum standen kreischend die erschrockenen Schiffsläufer auf. Man hörte unterdrückte Ausrufe, lautes, krampfhaftes Atmen.
    »Was ist das?«
    In den blaugrauen wogenden Dünen versank ein seltsames Schiff – mit Masten, aber ohne Segel. Grau, mit irgendwelchen Röhren gespickt … Die Wüste hatte seinen ungewöhnlich massigen Rumpf so weit verschlungen, dass keine Räder mehr zu sehen waren. Nein, das Schiff hatte überhaupt keine Räder … So war es und konnte es doch nicht sein.
    »Das Meer«, sagte Ar-Scharlachi tonlos, und in diesem Augenblick verschwand die Vision. Ein paar Sekunden lang standen alle reglos da und blickten blind in den leeren Himmel über der roten Schotterebene.
    »Und … was ist das … das Meer?«, stotterte der Halbwüchsige.
    »Der Tod«, sagte einer von den Läufern knapp und entschieden. »Wenn man das sieht, kann man sein Laken nehmen und sich eine Grube graben …«
    »Ohne Schiff wäre es nicht so schlimm«, murmelte der Alte erschrocken. »Aber so mit Schiff …«
    Der Halbwüchsige begann leise zu heulen. Der Gedanke an den nahen Tod erfüllte den Jungen mit Entsetzen.
    »Stopf ihm doch jemand den Mund«, sagte der Eigner verärgert und wandte sich mit einem Ruck Ar-Scharlachi zu. »Der Opa quasselt, du hast in Harwa studiert … Du musst es wissen … Was steht darüber in den Büchern?«
    Ar-Scharlachi zuckte unbestimmt mit der Schulter unter der dreifachen Falte. »Der weise Gojen behauptet, das sei das Totenreich. Hingelangen kann man nur nach dem Tode. Und lebendig erscheint es nur in den Trugbildern – zur Warnung.«
    »Und die anderen?«, fragte der Eigner begierig. »Was schrei ben die anderen?«
    »Nun … Andrba beispielsweise widerspricht Gojen und sagt, dass man, wenn man im Meer badet, unsterblich wird.«
    »Ja?«, fragte der Eigner

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