Unter dem Safranmond
ein eigenes Zimmer zu geben. So blieben die anderen Schlafräume für auswärtige Gäste reserviert, für Professoren aus Cambridge, aus London oder aus dem Ausland, die zeitweise hier logierten und nächtelang mit ihrem Vater und einzelnen Studenten zusammensaßen und diskutierten. Oft herrschte reges Kommen und Gehen, und ihre Mutter beklagte sich immer wieder über die viele Arbeit, die für sie damit verbunden war. Doch Maya hatte auch den Glanz in ihren Augen bemerkt, wenn sie geschäftig hin und her eilte, kleine Imbisse vorbereiten und die Zimmer herrichten ließ, frische Blumen in die Vasen stellte und dann in eleganten Kleidern die Gäste willkommen hieß.
Mit jeder Stufe, die Maya hinabstieg, wurde es heller. Der Lichtschein kam aus dem Arbeitszimmer ihres Vaters. Die Tür stand ein Stück weit offen, ließ einen Ausschnitt des dunkelroten Teppichs mit dem hellen Rankenmuster sehen und die Seitenwand des massiven Schreibtisches. Ihr Vater war nicht allein; in das Murmeln seiner so vertrauten Stimme mischte sich ein zweites. So wie sich auch der süße Geruch des Pfeifenrauches mit einem zweiten, schärferen vermengte. Mayas Herz machte einen Sprung. Richard! Richard ist da!
Richard Francis Burton, Student im zweiten Jahr am Trinity College, war ein gern gesehener Gast in Black Hall, seit er Gerald Greenwood im Haus eines befreundeten Arztes begegnet war, bei dem er in seinem ersten Universitätsjahr zur Untermiete gewohnt hatte. Mrs. Greenwood errötete wie ein Schulmädchen, wenn Richard sich mit charmanten Komplimenten für eine Einladung zum Dinner bedankte. Oft konnte man ihn und Gerald im Garten Runde um Runde vorbeispazieren sehen, in ein Gespräch über fremde Sprachen und Kulturen vertieft oder in Erinnerungen an die Landschaften und Menschen Frankreichs und Italiens schwelgend, wo Richard aufgewachsen war. Oft zogen sie sich auch zu ein paar Gläsern Brandy in Geralds Arbeitszimmer zurück, wie jetzt, zu dieser späten Stunde. Und während für Gerald seine Pfeife so typisch war, waren es für Richard seine unvermeidlichen Zigarillos. Doch wohl niemand im Haus hatte Richard so sehr ins Herz geschlossen wie Maya.
Sie schlich sich bis zu der Stufe hinab, die auf der gleichen Höhe mit der Tür des Arbeitszimmers lag, und hockte sich hin, umklammerte die gedrechselten Streben und presste das Gesicht dagegen, um ja kein Wort zu versäumen, vielleicht gar einen Blick auf Richard zu erhaschen.
»… meinen alten Herrn davon zu überzeugen, dass es keinen Sinn macht, mich zu einer Laufbahn als Kirchenmann zwingen zu wollen. Der Makel einer zeitweiligen Verweisung von der Universität in meiner Akte schien mir dafür ein guter Trick«, hörte Maya Richard mit einem vergnügten Unterton in seiner tiefen, leicht rauen Stimme erzählen. »Da traf es sich gut, dass die Vorlesung mit dem Beginn des Hindernisrennens zusammenfiel. Anstatt mir den Sermon des Professors anzuhören, traf ich mich hinter dem Worcester College mit ein paar Kommilitonen, und auf ging’s, in einem gemieteten Gespann, zum Rennen!«
»Was vermutlich nicht unentdeckt blieb«, brummte Gerald hinter seiner Pfeife hervor.
»Nein.« Maya glaubte, einen Anflug von Schuldbewusstsein herauszuhören. »Wir wurden zum Dekan zitiert, der Milde walten lassen und uns nur eine Verwarnung erteilen wollte. Also trat ich vor und argumentierte, dass keine moralische Verworfenheit darin läge, Zuschauer bei einem solchen Rennen zu sein. Ich empörte mich allerdings darüber, dass uns die Universität wie Schuljungen behandeln würde, wenn sie uns den Besuch solcher Veranstaltungen verböte. Garniert habe ich meine Rede mit Floskeln wie ›Vertrauen erzeugt Vertrauen‹ – und das war es dann: glatter Rausschmiss.«
Eine kleine Pause entstand, in der Gerald offenbar seine Pfeife neu stopfte. Denn kurz darauf drang frischer Qualm aus dem Zimmer, und er räusperte sich. »Die Universität lässt solche Rennen immer nur außerhalb des Geländes stattfinden und setzt vorbeugend wichtige Vorlesungen auf diese Termine, weil sie um eure Sicherheit fürchtet. Schon manch ein unbeteiligter Zuschauer ist bei einem solchen Rennen unter die Räder oder die Hufe geraten. Mit reiner Prinzipienreiterei oder Bevormundung hat das daher nichts zu tun.« Gerald Greenwood hielt nichts von donnernden Strafpredigten. Er war überzeugt davon, dass der menschliche Verstand die Fähigkeit zur Einsicht besaß, und seine ruhige und sachliche Art der Argumentation konnte
Weitere Kostenlose Bücher