Unter dem Teebaum
nickte. »Warum eigentlich nicht? Es gibt sehr viel über Wein zu lernen, und ich behaupte weiß Gott nicht, alles darüber zu wissen. Aber muss es tatsächlich gleich eine Universität sein?«
Das Gespräch fand im Arbeitszimmer statt, und Walter Jordan lief nachdenklich durch den Raum. Vor dem Kamin blieb er stehen, nahm das gerahmte Foto von Ambers Mutter in die Hand und betrachtete es. »Was würdest du sagen, Carolina?«, fragte er leise, doch das Foto gab keine Antwort.
»Nein, Vater, eine Universität muss es nicht sein. Es gibt ein Agrarcollege in Adelaide, in dem Weinbaukunde gelehrt wird. Die Ausbildung dauert drei Jahre und schließt mit einem Diplom ab.«
Walter sah sie ein wenig misstrauisch an. »Ich habe noch alles von meinem Vater gelernt. Beim Wein kommt es auf Erfahrung an und auf die Liebe zu den Trauben – das war immer unsere Maxime. Aber die Leidenschaft für unser Handwerk kann man nicht aus Büchern lernen.«
Amber sah, wie sich sein Gesicht verfinsterte. »Amber, du bist ein Kind vom Land. Wirst du in der Stadt überhaupt zurechtkommen?«
»Warum nicht? In Adelaide lebt eine Million Menschen. Sie kommen zurecht. Warum sollte ich das nicht können?«
»Nun, das Leben in der Stadt ist anders als bei uns. Es gibt Drogen, Verbrechen, Lärm, viel Verkehr, schlechte Menschen.«
Amber stand auf. Sie trat zu ihrem Vater und legte ihm die Arme um den Hals, schmiegte ihre weiche Wange gegen seine stoppelige und bat: »Bitte, Vater, lass mich aufs College. Nur für drei Jahre. Du wirst sehen, dass das auch gut für unseren Betrieb ist. Bitte, Papa. Ich bin sicher, Mama hätte es so gewollt.«
Der Vater seufzte noch einmal. »In Gottes Namen – geh nach Adelaide. Versuch dein Glück. Wenn es nicht klappen sollte, so hast du hier ja dein Auskommen. Irgendwann wirst du ohnehin heiraten und Kinder bekommen.«
Nun hatte sie den Abschluss und war bereit für Heirat und Kinder, aber nicht so, wie ihr Vater sich das vorgestellt hatte, nicht so, wie es in dieser Gegend üblich war.
»Was meinst du?«, unterbrach der alte Weinbauer ihre Gedanken und tat, als wäre nie von Hochzeit die Rede gewesen. »Sollten wir mehr Shiraz anbauen, oder sollten wir uns lieber weiter an Cabernet Sauvignon halten?«
Amber überlegte einen Augenblick, ehe sie antwortete. »Die Weine hier sind zu schwer und zu süß. Sie kommen Likörweinen sehr nahe, aber die Zeit dieser schweren Weine ist bald vorbei.«
»Bis jetzt verkaufen sie sich gut. Die Kunden sind zufrieden. Es hat sich noch niemand beschwert.«
»Bei den Weißweinen ist nach Ansicht der internationalen Weinzeitungen ein frischer, junger Geschmack gefragt, doch mir liegen die Roten mehr am Herzen. Ich würde gern mit ihnen etwas Neues machen. Etwas, das typisch ist für dieses Land und für unser Leben.«
»Was sollte das sein, Amber? Die Weine von hier sind wie wir. Sie sind Australien.«
»Wir könnten eine Cuvée aus Cabernet und Shiraz herstellen.«
Der Vorschlag war gewagt, Amber wusste es. Ein bisschen belustigt studierte sie den Gesichtsausdruck ihres Vaters. Er runzelte die Stirn und fuhr sich mit einer Hand durch sein dichtes, graues Haar, dann ließ er seinen Blick zu dem Weinberg schweifen, auf dem die Shirazreben wuchsen.
»Ein Verschnitt aus zwei guten Weinen, die für sich allein stehen können?« Der Winzer schüttelte den Kopf. »Wie kommst du darauf? Habt ihr das auf dem College gelernt?«
Amber verneinte und sah ihren Vater ernst an. »Von Orynanga und von dir habe ich gelernt, wie das Klima sich auf den Wein auswirkt. In diesem Jahr werden wir mittelschwere Weine mit kräftigem Aroma erhalten.«
Walter Jordan nickte. »Das ist richtig. Die Sonne schien lange und stark; es gab wenig Regen.«
»In Bordeaux herrscht ein ähnliches Klima wie hier, doch die Weine aus Frankreich haben einen besseren Ruf, obwohl unsere ihnen in nichts nachstehen«, sprach Amber weiter. »Die australischen Winzer verschneiden – ähnlich wie die Winzer in Bordeaux – gern den Cabernet mit anderen Rebsorten. Das habe ich auf dem College gelernt.«
»Aber die Shiraztraube gibt es, soweit ich weiß, in Frankreich nicht. In Kalifornien und hier bei uns wird sie vorwiegend angebaut«, überlegte der alte Winzer laut.
»Eben darum«, erwiderte Amber. »Der Verschnitt von Cabernet Sauvignon und Shiraz wäre einzigartig für Australien.«
Jetzt war Walter Jordans Gesichtsausdruck aufmerksam und interessiert. »Wie stellst du dir einen solchen Verschnitt
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