Unter dem Teebaum
gemeinsam Ziele erreichen wollte? Einen Partner, keinen Versorger. Sie wusste, er würde es nicht verstehen.
Es war schwer, eine Frau zu sein, hier in Australien. Zwar hatten die Frauen in diesem Land als einem der ersten schon seit 1902 das Wahlrecht, doch hier in Tanunda herrschten eigene Gesetze. Eine Frau gehörte in die Küche, am Sonntag in die Kirche und hatte sich ansonsten ganz den Kindern und der Familie zu widmen. Gehörte die Frau zu einem Familienunternehmen, so war es selbstverständlich, dass sie auch dort mit anpackte. Aber das Sagen hatten die Männer. Das war schon immer so und würde noch lange Zeit so bleiben. Australien war ein raues Land mit einem wilden Klima und mit Männern, die stolz darauf waren, »echte« Männer, Pioniere zu sein. Ein Mann, der auf die Meinung seiner Frau hörte, war ein Waschlappen. Und ein Unternehmen, sei es auch noch so klein, das von einer Frau geleitet wurde, hatte es schwerer als andere.
Walter betrachtete sie aufmerksam, dann fragte er weiter: »Gibt es da bereits einen jungen Mann in deinem Leben?«
Amber schluckte. Hatte er ihr nicht zugehört? Hielt er ihre Frage nach einer Heirat mit einem Aborigine für ein Spiel? Oder war das seine Art, ihr mitzuteilen, dass er sie nicht gehört hatte, nicht hatte hören wollen?
In diesem Augenblick klangen die Schläge der nahen Kirchturmuhr bis zu den Weinbergen hinauf. Amber machte sich los. »Ich bin mit Maggie verabredet«, sagte sie. »Wir haben uns sehr lange nicht mehr gesehen.«
Walter nickte, ohne auf einer Antwort zu bestehen. »Geh nur und amüsier dich. Du hast dir ein paar freie Tage verdient.«
Er kramte in der Tasche seiner braunen Manchesterhose und holte seine Geldbörse hervor. Dann wollte er seiner Tochter ein englisches Pfund in die Hand drücken. Doch Amber versteckte die Hände auf dem Rücken. »Nein, Vater, ich habe mein eigenes Geld«, sagte sie, wandte sich um und lief leichtfüßig den Hang hinunter. Walter sah ihr nachdenklich hinterher.
»Sie wird langsam erwachsen, was?«
Der Gutsbesitzer hatte nicht gehört, dass Steve Emslie von der anderen Seite des Weinberges gekommen war.
»Ja, scheint so«, erwiderte Walter und seufzte ein wenig.
»Sie hat das richtige Alter, um zu heiraten und Kinder zu bekommen«, fügte Emslie hinzu.
Walter nickte. »Ich glaube, wir sollten uns noch auf einige Überraschungen gefasst machen«, sagte er und ging langsam den Hang hinunter.
»Es ist nicht leicht, ein Kind ohne Mutter großzuziehen«, sprach Emslie weiter. »In manchen Dingen fehlen straffe Zügel. Frauen müssen gehorchen. So steht es in der Bibel, so war es immer. Lässt man ihnen zu viele Freiheiten, dann gerät alles durcheinander. Gott hat die Menschheit nicht ohne Grund in Frauen und Männer unterteilt. Will eine Frau sein wie ein Mann, geht das schief, weil die natürliche Ordnung der Dinge zerstört wird.«
Walter Jordan nickte, doch dann verharrte er plötzlich auf der Stelle und musterte seinen Verwalter von oben bis unten.
»Du hast dir darüber Gedanken gemacht, Steve?«, fragte er. »Warum?«
»Weil ich ein Mann bin, der möchte, dass die Dinge der Ordnung folgen. Mir liegt das Gut am Herzen. Ich möchte, dass es in die besten Hände kommt.«
Walter nickte und sah seinen Verwalter prüfend an, als sähe er ihn zum ersten Mal. »Da hast du verdammt Recht, Steve. Auch ich möchte, dass Carolina Cellar in die besten Hände kommt.«
Dann klopfte er seinem Verwalter auf die Schulter und setzte seinen Weg Seite an Seite mit ihm fort.
Es war früher Nachmittag, als Amber mit dem Fahrrad die zwei Meilen bis nach Tanunda fuhr. Die Sonne brannte heiß vom Himmel, und der Staub der Straße legte sich wie ein feiner Schleier auf Ambers Haut. Sie trug ein leichtes Sommerkleid, das mit bunten Blumen bedruckt war, und hatte die Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden. Ihre Füße steckten in weißen Söckchen und flachen weißen Schuhen. Hinter ihr, im Fahrradkorb, lag eine rote Basttasche, die sie in Adelaide gekauft hatte.
Sie wirkte jung und unbeschwert, als sie ihr Fahrrad vor dem einzigen Café des Ortes an einen Baum lehnte. Es gab im ganzen Land nur wenige Kaffeehäuser, denn die Australier tranken zumeist Tee.
Maggie hatte sich schon einen Platz unter einem der Sonnenschirme gesucht und winkte Amber fröhlich zu.
»Ich bin so froh, dass du endlich wieder da bist. Ich habe dir so viel zu erzählen«, sagte sie nach der Begrüßung. Sie hatte beide Arme auf den Tisch gestützt und
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