Unter dem Zwillingsstern
Kap i talisten. W as die franz ö sischen Genossen von der FKP anging, sie schenkten den E m igranten und ihren W arnungen zwar Gehör m ehr, als es die Schweizer getan hatten -, und Käthe hatte bereits an m e hreren politischen Veranstaltungen teilgenommen, aber was die p r a ktisc h e Hil f e betra f … Man l e ide selbst noch unter der Weltwirtscha f tskrise, so hieß es, und daß die E m igranten bereit seien, ille g al zu arbeiten und Hungerlöh n e zu akzeptieren, s ei der Sac h e des französischen P r oletariats ni cht eben dienlich.
Käthe verbot sich, gerade jetzt an solche ent m utigenden U m stände zu denken. Dies war der erste fre i e Tag seit la n ge m , der ihr zur Verfügung stand, und sie erwartete die Ankunft eines guten F r eundes, den sie lan g e nicht m ehr gesehen h a tte. Da sie i h n überzeug e n wollte hierzubleiben, durfte sie nicht über die Schwierigkeiten des E m igrantenlebens grübeln, sondern sich nur die Un m öglichkeit der Alternative vor Augen halten. Das, was sie bei der Gazette, der E m igrantenzeitung, für die sie schrieb, wann i mm er sie dazu ka m , gehört hatte, überstieg m ittlerweile i h re schlim m s ten Vorstellungen.
Der Zug fuhr ein, und wieder ertappte sie sich dabei, an sich heru m zuzup f en. Sie trug i h r bestes Kl ei d, das ihr m ittlerweile ein wenig zu weit war, doch sie hatte kein Geld, um es eng e r m achen zu lassen, und kein Talent als Schneiderin, um es selbst zu tun. Sie wußte, daß sich ein paar graue Strä h nen m ehr in ihrem Haar zeigte n ; es wäre ihr nie in den Sinn gekom m en, sie zu färben, aber sie h atte s i ch heute morgen vor dem Spiegel dabei ertappt, wie sie das Rouge benutzte, das Carla ihr geschenkt hatte, was s i e sonst nie tat; wäre es nicht ein Geschenk gewesen, hätte sie es weggeworfen. Aber es heute aufzutragen gab ihr das Gefühl, keine gr a ue Zi ff er in einer s t e tig wachsenden Kolonne von Flüchtlingen zu sein, sondern eine Frau, die sich in Paris für ein Rendezvous zurecht m a chte, und auch wenn das so nicht ganz zutraf, war es doch ein Licht b li c k in ih r em düsteren Alltag.
Als sich die Türen des Zugs öff n e t en, quollen so viele Menschen heraus, daß sie fürchtete, Martin Gold m ann nie f i nden zu können. Sie reckte den Hals und w ünschte sich v e rzweifelt, etwas größer zu sein. Es schien, daß das halbe Rheinland angekommen war. Sie konzentrierte sich auf vertraute süddeutsche Laute und ent d eckte tatsächlich eine ganze Gruppe Münchner. D a nn sah sie, wie ein Mann einer D a m e jetzt, wo der erste Andrang vorbei war, aus d e m Zug half, ihr den Koffer nachreichte und sich m it einer Verbeugung von ihr verabschiedete, und m ußte nicht läng e r suchen. Käthe lächelte. Ganz gleich, unter welchen U m ständen, m an konnte sich darauf verlassen, daß Martin Gold m ann, Doktor der Medizin, den Kavalier spielte.
»Martin!« rief sie, und er drehte sich zu ihr u m . Er hatte nur eine kleine Reisetasche dabei, was bed e utete, daß er wirklich nur einen Besuch plante. Nun, das würde sich ändern. Mit ein paar schnellen Schritten w ar er bei ihr, ergriff ihre Hand und küßte sie. S päter, als der Februarwind ihm den Hut vom Kopf blies, sah sie, daß auch er weißhaariger geworden war; Pfeffer und Salz, hätte ihre Mutter gesagt. Aber s i e wollte j e tzt nicht an ihre M u tt e r denken oder an ihre Brüder, von denen sie seit Monaten nichts m e hr gehört hatte. Die Zeiten hatt e n sich ve r ä n dert, seit s ie das letzte m al ge m eins a m in Paris gewesen waren. W ährend sie durch die Alleen schlenderten, weil Käthe ihn b eim besten W illen nicht in das Zi mm er bitten k onnte, das sie m it dr e i anderen F r a uen t e ilt e , versuchten sie zunächst, nur über Nichtigkeiten zu reden, die Gesundheit, das Kli m a, seine Reise, doch schon Dr. Gold m anns Frage nach d e m Grund für die vielen Polizisten, die m a n überall sah, beendete den Versuch, so zu tun, als sei all e s nor m al.
»Vor zwei Tagen hat es hier einen faschistischen Putschversuch gegeben«, erklärte Käthe sachlich. »Es verlief so ähnlich wie bei uns 1923 in München. Die Polizei spielte wider Erwarten nicht m it. Aber an dem Tag dachte ich schon, ich müßte wieder fliehen.« Sie schauderte, d ann erinnerte sie sich an i h r Vorhaben u nd fügte m i t forcierter Fröhlichkeit hinzu: »Aber es gab auch große Unterschiede, denn das Volk reagiert hier ganz anders, Martin. Es sind wirkliche Republikaner!«
»Es
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