Unter Den Augen Tzulans
Faustschlag erhalten, und die Büchse lag rauchend vor ihm. Die Waffe hatte ihn durch den Rückschlag von den Beinen gerissen. Das Grollen des Schusses hallte von den entfernt stehenden Bäumen leise zurück.
Die Bewohner des Dorfes starrten entsetzt aus ihren Hütten. Damascha schaute zunächst erschrocken zu ihm, dann zu dem Turm. »Tokaro, was um alles auf Ulldart hast du da mitgebracht?«
»Das«, erklärte er stolz und sprang auf, sich die Backe reibend, »ist eine Büchse. Und damit werde ich für Gerechtigkeit sorgen. Der Gouverneur soll sehen, was er davon hat, eine Steuer von euch zu verlangen.«
Kontinent Kalisstron, Bardhasdronda, Sommer 457 n.S.
Habt ihr schon meine neueste Geschichte gehört?« Arnarvaten stürmte in die nachmittägliche Kate, in der Matuc, Lorin und Fatja gerade zusammensaßen und das Haushaltsgeld für den restlichen Monat zählten. Die Einnahmen und Ersparnisse der Schicksalsleserin würden vermutlich ausreichen, die kleine Familie durch das Jahr zu bringen. Wenn auch nur knapp.
Der Geschichtenerzähler rempelte den Tisch mit den Münzen an, sodass einige klingend zu Boden fielen.
»Oh, wie ungeschickt«, entschuldigte er sich und begann in aller Eile, die geprägten Metallscheiben aufzuklauben. Unbemerkt von den anderen schmuggelte er aus seinem Ärmel zusätzliche Münzen darunter.
»Ich glaube, du machst es jedes Mal mit Absicht, immer dann an den Tisch zu stoßen, wenn wir gerade mitten im Zählen sind«, seufzte der Mönch. »Jetzt können wir von vorne beginnen.«
»Es tut mir Leid, Matuc.« Arnarvaten spielte den Zerknirschten.
Fatja schenkte ihm einen liebevollen Blick und ein dankbares Lächeln. Sie kannte die Tricks ihres Verlobten in- und auswendig.
Die Wangen des ertappten Geschichtenerzählers bekamen kurz einen dezenten Hauch von Rot, dann setzte er sich schnell. »Wie geht es euch denn?«
»Wie immer«, sagte Lorin grinsend. »Ich werde immer stärker. Bald darf ich selbst mal ein Pferd beschlagen, hat Akrar versprochen.« Dass auch Waljakov ihn gelobt hatte, verschwieg er lieber. Es musste nicht jeder wissen, in welchen Künsten ihn der Leibwächter täglich unterrichtete.
Prüfend kniff der Kalisstrone in den Oberarm des Jungen und verzog anerkennend das Gesicht, die Haare des sorgsam ausrasierten Bärtchens an seinem Kinn bildeten dadurch ein neues Muster. »Ich bin beeindruckt. Mich würdest du schon im Armdrücken besiegen.«
»Das ist ja auch keine Kunst«, meinte der Knabe lachend und versuchte, seinen Freund aufzuziehen. »Vom Geschichtenerzählen bekommt man keine Muskeln, wie Waljakov immer sagt.«
»Dafür hören einem die Menschen zu. Ich kann ihnen mit meiner Stimme Angst einjagen und sie beruhigen, ich kann sie traurig und glücklich machen, sie zum Lachen und zum Weinen bringen. Können deine Muskeln das auch?«, gab Arnarvaten zurück. »Ich gebe zu, dass im Sommer die Nachfrage nach unterhaltsamen Abenden eher bescheiden ist, aber im Winter, kann ich dir sagen, wissen deine Schwester und ich oft nicht, wie wir alle die Häuser besuchen sollen, die ein Märchen, eine Sage oder eine Geschichte erzählt haben wollen.«
»Wenn du ein Sänger wärst, würdest du auch im Sommer reichlich Geld einnehmen.« Matuc schenkte ihm einen Becher mit Wasser ein.
»Kalisstra wollte nicht, dass ich Töne halten kann. Und bevor wegen mir die Milch sauer wird, bleibe ich beim Sprechen.« Er gab Fatja einen Kuss. »Aber du solltest es unbedingt einmal versuchen.«
»Ich arbeite daran, aufdringlicher Kerl«, deutete sie an und drückte ihn von sich. »Bevor du unsere Tür eingerannt hast, wolltest du uns mit einer deiner unsäglichen Geschichten auf die Nerven fallen, habe ich das vorhin richtig verstanden?«
»Unsäglich, ja?« Arnarvaten zog die Stirn in Falten und kreuzte die Arme vor der Brust.
»Ach bitte«, bettelte Lorin. »Keiner erzählt besser als du.«
»Na schön.« Der Erzähler ließ sich erweichen. »Es ist aber keine herkömmliche Geschichte. Ich habe sie erst vor kurzem als Wahrheit gehört und fand das Kuriosum so anregend, dass ich aus der Begebenheit mein eigenes Märchen gemacht habe.« Geheimnisvoll senkte er die Stimme. »Es ist etwas unheimlich Unheimliches.« Er verzerrte das Gesicht zu einer Fratze. »Meinst du, kleiner Lorin, du wirst ihren Inhalt ertragen, oder wirst du mit deinem Geschrei deiner großen Schwester schlaflose Nächte bereiten?«
»Eher klammert sie sich an mich, als dass ich Angst bekomme«, wehrte der Junge
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