Unter Den Augen Tzulans
Geschichtenerzählter trat drei Mal mit dem Fuß auf, und seine Zuhörer zuckten erschrocken zusammen.
»Der Fischer dachte, es sei sein Sohn, der sich durch ein Wunder hatte retten können. Aber als er mit seinen Händen im Wasser umhertastete, stießen seine Finger auf Planken, die merkwürdig durchlöchert waren. Sie mussten aus der schwarzen Tiefe emporgestiegen und gegen den Kahn gestoßen sein.
Urplötzlich«, Arnarvaten sprang auf, »zog es mit gewaltigen Kräften an der Kette. Nur ein einziges Mal, aber das Boot tanzte wie eine Nussschale auf dem merkwürdig spiegelglatten, toten, leblosen Meer.
Kaum hatte es sich beruhigt, tat es einen weiteren Ruck. Die Kette straffte sich und zog das Heck Stückchen für Stückchen nach unten, bis die Bordkante fast gleichauf mit der See war.
Valtolin hockte steif vor Angst am aufgerichteten Bug und wagte es nicht, sich zu bewegen, um seinen Kahn nicht zum Volllaufen zu bringen.
Die Oberfläche geriet in Bewegung, das Wasser kräuselte sich sachte, und eine ausgestreckte bleiche Hand brach aus der Tiefe hervor. Glitzernde Tropfen perlten von ihr ab, vom bösartigen Rot des Doppelgestirns beschienen, dann schlossen sich die Finger um das Holz der Rückwand.
Eine zweite Hand, nicht minder blass und unheimlich, brach aus den Fluten und legte sich neben die Linke.
Der Fischer schrie aus Furcht, weil er dachte, sein toter Sohn kehrte zurück, um sich an ihm zu rächen, weil er am Meeresgrund umgekommen war und sein Vater sich nicht um sein Schicksal scherte. Aber es kam anders.«
Arnarvaten umschlich nun die von der Erzählung gefesselten Menschen.
»Im schimmernden Licht der Monde entstieg eine Frau den Fluten. Ihr vollkommener nackter Körper schimmerte feucht vom Meereswasser, als sie sich in das Boot zog und auf den Fischer zukam. Ihre Augen glühten rot wie Kohlen, ihre Stimme knarrte und ächzte wie die Äste eines Baumes, wenn sie im Sturm aneinander reiben. ›Du wirst mich an Land bringen. Sterblicher, oder ich reiße dir bei lebendigem Leib das Herz heraus.‹ Valtolin konnte sich ihr nicht verweigern, zu sehr hing er an seinem Leben. ›Aber der Anker hält uns an dieser Stelle gefangen‹, sagte er zu der unheimlichen Frau.
Sie packte die Kette mit ihren Händen und riss sie auseinander, wie ein Schneider einen Faden kappt. Ohne ein weiteres Wort setzte sie sich auf die Bank und starrte den Fischer an.
Valtolin wagte es nicht, eine Frage zu stellen, und so legte er sich vor Schrecken zitternd in die Riemen, bis sie den Strand erreichten.
Die Frau erhob sich. An ihrer Nacktheit störte sie sich nicht weiter, sondern sprang auf den Sand und lief in die Nacht hinein.
›Wer bist du?‹ Er zauderte nicht mehr länger, die Neugier obsiegte. ›Und wo ist mein Sohn?‹ Die schrecklichen Augen wandten sich ihm zu und brannten ihr Rot für immer in seine Erinnerung ein. ›Ich bin die Eine, die Zerstörerin, die Vernichterin. Das Kind Ptulams. Wer mich lästert, wird in heißem Feuer vergehen. Wer mich verhöhnt, wird in Qualen zu Grunde gehen. Und wer mich nicht ehrt, wird unendliches Leid erdulden.‹ Der Fischer spürte, wie sich ein heißes Brennen in seinen Eingeweiden ausbreitete, als würden sie in Flammen stehen. Brandblasen bildeten sich an seinem Körper, angsterfüllt sprang er ins Wasser, um den vernichtenden Augen zu entkommen. Dampfschwaden stiegen auf, als er in die See eintauchte und sich unter dem Rumpf verbarg. Nun ahnte er, welches Schicksal seinem Ältesten durch das grausame Wesen widerfahren war. Die Schmerzen verebbten.
Als er es wagte, im Schutz des Bootes nach Luft zu ringen, war die Gestalt verschwunden.
Valtolin kehrte als gebrochener Mann in die Stadt Vekhlathi zurück, berichtete seiner Frau von seinem schrecklichen Erlebnis und verlor noch während des Erzählens seinen Verstand. Die glühenden Augen der Einen hatten seinen Geist verbrannt …«
In der Hütte herrschte Totenstille, was Arnarvaten mit einer ausgesprochen großen Befriedigung registrierte.
Die Kerzenflamme zuckte in einem sanften Windhauch und drohte zu verlöschen.
Augenblicklich legte Fatja schützend ihre Hände vor den Docht, um die einzige Lichtquelle zu bewahren. Der Geschichtenerzähler bemerkte, dass sich bei ihr eine Gänsehaut gebildet hatte.
Matucs Gedanken überschlugen sich. Was Arnarvaten eben so brillant als ein Märchen vortrug, enthielt einen wahren Kern, der bei ihm die gleiche Angst auslöste, wie sie wohl der unglückliche Valtolin empfand,
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