Unter Den Augen Tzulans
großspurig ab. »Ich weiß mich schon sehr gut zu verteidigen.«
Matucs Miene verdüsterte sich bei diesen Worten. Vor seinem inneren Auge sah er, wie sein Ziehsohn mit Schwertern hantierte und seine Magie einsetzte, um Menschen zu verletzten und schlimmere Dinge zu tun. Aber er sagte nichts. Die Ausbildung bei Waljakov fand mit seiner unausgesprochenen Genehmigung, aber nicht mit seiner aufrichtigen Billigung statt. Fatja jedoch redete ihm so lange ins Gewissen, bis er davon absah, dem Jungen den Umgang mit dem hünenhaften Glatzkopf zu verbieten. Zumal Lorin ihm bei Ulldrael und Kalisstra geschworen hatte, alles Erlernte stets zur Verteidigung einzusetzen.
»Nun denn, geschätztes Publikum«, erhob Arnarvaten Aufmerksamkeit heischend seine Stimme. »Schließt die Münder und öffnet eure Ohren, damit ihr höret, was noch niemand zuvor vernommen!« Der Geschichtenerzähler nutzte wie immer Gestik und Mimik, um das Geschehen zusätzlich zum Ändern von Stimme und Tonfall zu dramatisieren. »Es war noch gar nicht so lange her, da ereignete sich etwas Furchtbares auf unserem schönen Kontinent.«
»War das, als Fatja versuchte, dir einen Kuchen zu backen?«, hakte Lorin feixend ein.
»Schweig, Bengel! Du störst meine Konzentration.« Arnarvaten nutzte die ungewollte Unterbrechung, um sein Etui mit dem berüchtigten Kraut hervorzuholen, mit dem sich die Kalisstri den Alltag versüßten. »Fatja, würdest du bitte eine Tasse für mich zubereiten?«
Sie schickte ihm einen vorwurfsvollen Blick ihrer braunen Augen. »Aber nur ausnahmsweise.« Die junge Frau stellte den Kessel auf, um den Kräutersud vorzubereiten, den man »Njoss« nannte und in allen Gasthäusern der Stadt bekam.
Die Kalisstri nahmen keinen Alkohol zu sich, aber das Gebräu, das sie aus den getrockneten Blättern gewannen und mitunter literweise in sich hineinschütteten, konnte es mit der Wirkung eines Branntweins aufnehmen, ohne besoffen zu machen.
Mancher Geschichtenerzähler wurde sogar abhängig davon, weil er nur durch den rauschhaften Zustand neue Einfälle erhielt. Manchen zerfraß Njoss die Gedärme, weil sie nichts anderes mehr trinken wollten, und sie starben einen qualvollen Tod. Vor diesem Schicksal wollte Fatja ihren Verlobten bewahren, deshalb schränkte sie den Konsum stark ein. In dieser Unterbrechung gesellte sich Blafjoll zu ihnen.
Nach der Pause und einem ausgiebigen Schluck Njoss setzte Arnarvaten die Erzählung fort.
»Die Stadt Vekhlathi ist seit Jahrhunderten für ihre guten Fischer bekannt, und zu den besten, die jemals dort lebten, gehörte Mänte Valtolin.
Mänte Valtolin war im Besitz eines Netzes, das er angeblich von Kalisstra erhalten hatte, wie er immer sagte. Er protzte damit und gab vor den anderen Seeleuten an, die weniger glücklich beim Fang waren, welchen Segen ihm die Bleiche Göttin zuteil werden ließ.
Eines Tages fuhren er und sein ältester Sohn hinaus auf See und warfen das Netz aus. Doch die großen Fische blieben nicht in den Maschen, wie sonst. Das wunderte Valtolin und seinen Sohn sehr, und er fürchtete den Spott der anderen Fischer, wenn er nur mit kleiner Beute nach Hause kommen musste. So ruderte er seinen Kahn weiter hinaus, dorthin, wo das Wasser schwarz und gefährlich ist.«
Amarvaten schaute in die gespannten Gesichter seiner Zuhörer und fuhr fort.
»Er warf den Anker aus und blieb einen halben Tag dort. Aber die Fische blieben verschwunden. Als er den Eisenhaken einholen wollte, bewegte sich der Anker keine Handbreit, als würde ihn etwas fest halten.
Mit vereinten Kräften rissen und zogen er und sein Sohn an der Kette, dass sie ihr Boot beinahe zum Kentern brachten. Aber Valtolin wollte den Haken nicht verloren geben, dafür war er zu teuer gewesen. Kahn, Kette und Anker waren untrennbar miteinander verbunden.
So schickte er seinen Sohn hinunter, um auf dem Grund nachzuforschen. Er sah ihn nie mehr wieder.«
Der Geschichtenerzähler entzündete eine Kerze und stellte sie so vor sich, dass sein Antlitz von einem seltsamen Zwielicht beschienen wurde.
»Beinahe bis zum Einbruch der Dämmerung wartete der Fischer auf die Rückkehr seines Ältesten. In die Fluten zu steigen, wagte er sich nicht. Wie ein Hofhund hing der Kahn an der Kette, fest verankert und unmöglich von der Stelle zu bewegen.
Als die Nacht hereinbrach und Valtolin sich vor lauter Verzweiflung in den Schlaf weinen wollte, klopfte es von unten gegen den Rumpf des Bootes. Drei dumpfe Schläge.«
Der
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