Unter Den Augen Tzulans
Ausnahme, denn ich vermute, du willst nicht bis zum Ende deines noch sehr jungen Lebens bleiben.«
Der Knabe schauderte. »Nein, bloß nicht.«
»Das war ehrlich.« Damascha stand auf. »Wir haben dich auf dem Weg gefunden, du lagst neben deinem Pferd. Wenn es dein Pferd ist.«
»Der Kabcar hat es mir geschenkt«, erklärte er.
»Sicherlich. Du hattest Fieber und eine eiternde Wunde wie von einer Klinge auf deinem Schulterblatt. Sie sieht sehr kunstvoll aus, du wirst eine Narbe in Form eines verschnörkelten ›I‹ behalten.« Tokaro konnte sich nicht erinnern, bei seiner Flucht aus Ulsar verletzt worden zu sein. »Zwei Tage lang haben wir dich gepflegt, und Bjuta hatte den Auftrag, dich zu wecken, damit du essen kannst.«
»Ich werde mich erkenntlich zeigen«, versprach er. Ernst schauten die blauen Augen zu der Vorsteherin. »Ich habe nicht gelogen. Der Hengst ist mein Eigentum.«
»Es spielt keine Rolle, wie ich bereits sagte«, wiederholte die Frau. »Du kannst so lange hier bleiben, wie du möchtest. Aber wenn Wachen auftauchen sollten, werden wir dich nicht verleugnen. Du bist ein verurteilter Dieb, deine Wunden zeigen es, und wegen dir lasse ich nicht zu, dass sie mein Dorf in Schutt und Asche legen.«
Tokaro wusste noch nicht so recht, was er als Nächstes tun sollte. »Was ist nun mit den Hütten? Woher kommen die Kranken?«
Damascha lachte bitter. »Woher wohl? Nach wie vor aus den Dörfern und Städten der Umgebung. Längst nicht alle Krankheiten sind heilbar. Oder die Heiler weigern sich, den Armen zu helfen. Und deshalb verfrachtet man sie in aller Heimlichkeit direkt aus den einstigen Tempeln hierher. Die Städte werden sauberer und sauberer, während die Menschen innerhalb der Palisaden verfaulen, ihre Innereien ausspeien oder wahnsinnig ihr Dasein fristen, bis der Tod sie erlöst.«
»Und du bist freiwillig hier?« Das Unverständnis, das in der Frage mitschwang, war beinahe greifbar.
»Jemand muss sich um sie kümmern, oder? Mein Vater, Damosch, war einst Vorsteher, ich habe sein Amt übernommen. Ich kenne mich ein wenig mit Salben und Tinkturen aus, oder ich verhandele mit Sumpfkreaturen, die uns aus Mitleid Kräuter und andere Materialien überlassen. Sie sind, so wenig menschlich, wie sie aussehen, weitaus menschlicher als die meisten hochanständigen Tarpoler.« Damascha lächelte. »Hättest du das gedacht, Tokaro?«
»Nein«, gab er verwundert zurück. »Aber was ist mit dem Kabcar? Warum hilft er euch denn nicht? Er ist doch so großherzig gegenüber dem Volk.«
Die Vorsteherin legte den Kopf ein wenig schief. »Ich denke, er weiß nicht einmal, dass es uns gibt. Oder es ist ihm recht, dass wir dazu verdammt sind, in dieser Abgeschiedenheit leben zu müssen.« Sie wandte sich zur Tür. »Wenn man das Leben nennen kann.«
»Was braucht ihr denn am meisten?«, rief der Junge ihr hinterher.
»Waslec«, kam es von draußen. »Ohne Geld können wir nichts kaufen. Und die Gesunden verlangen wegen der Gefahr, wie sie sagen, das Doppelte von uns. Der Gouverneur der Provinz Ulsar kassiert zusätzlich eine ›Maladitäts-Steuer‹ pro Kopf. Aber du wirst uns da wenig helfen können.«
Tokaro fühlte gerechten Zorn gegen die Gegebenheiten und die Gesunden, die aus dem Leid der anderen doppelten Profit schlugen, aufkeimen.
Er nahm die Büchse und den Waffengurt zur Hand und begann, die Prozedur zu wiederholen, die er damals bei den Soldaten aufmerksam beobachtet hatte. Er zog abschließend den Hebel mit der eingefädelten Lunte zurück und brachte sie zum Glimmen. Würde er den Abzug betätigen, müsste, wenn er alles richtig gemacht hatte, die glühende Schnur das schwarze Pulver durch das feine Loch seitlich des Laufs in Brand setzen und es zum Explodieren bringen. Das wiederum katapultierte die Kugel aus der Mündung.
Der Knabe rannte nach draußen. »Damascha!« Die Frau drehte sich um. »Schau her! Damit helfe ich euch, an das Geld zu kommen.«
Er klappte das schmale, rechteckige Metallrähmchen auf dem Lauf nach oben, visierte über zwei Erhebungen in der Mitte und am Ende der Büchse den Gong auf dem Wachturm an und zog den Stecher durch.
Krachend und dampfend sandte die Feuerwaffe das Geschoss los, das zwar den runden Signalgeber verfehlte, aber die Kette, an der er hing, abriss. Der Gong drehte sich wild um die eigene Achse und pendelte nur noch an einer Halterung hin und her.
Tokaro saß verdutzt auf seinem Hosenboden, die rechte Wange fühlte sich an, als habe er einen
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