Unter Den Augen Tzulans
magischen Fertigkeiten, die sie als Einzige von der Kalten Göttin erhalten hatten, unentgeltlich einzusetzen. Deshalb entdeckten Matuc und Fatja auf ihren gelegentlichen Streifzügen keinen wirklich Kranken, abgesehen von leichten Erkältungsfällen, die man selbst auskurieren konnte. Aber den schwereren Leiden und Verletzungen nahmen sich die kleinwüchsigen Heiler auf der Stelle an, wenn man sie davon in Kenntnis setzte. Auf Ulldart konnten sich diesen lebensrettenden Luxus nur Fürsten leisten, die Cerêler meistens in ihre Dienste nahmen und eifersüchtig darüber wachten, dass niemand anderes ihre Magie beanspruchte. Sie dem einfachen Volk zur Verfügung zu stellen, kam für die wenigsten in Frage. Ein paar rühmliche Ausnahmen bestätigten die Regel.
Matuc fiel die kalisstronische Ernsthaftigkeit nicht sehr schwer. Für ihn gab es keinen Grund, ausgelassen und unbeschwert zu sein.
Bei seinen Rundgängen, die er sich gelegentlich mit Hilfe von zwei Krücken zumutete, entdeckte er sehr schnell, dass in Bardhasdronda nicht ein einziger Hinweis auf andere Gottheiten existierte. Unangefochten beteten und opferten die Einwohner zu Ehren der Bleichen Göttin.
Als von Kalisstra gerne gesehen betrachtete man kräftige Farben, also streuten die Kalisstri becherweise besonders kostbare Farbpulver über und in die Heiligtümer, vorzugsweise grün, rot und gelb. Andere klebten kleine Goldplättchen auf die Statuetten, um die Bleiche Göttin zu ehren. Überall dort standen zudem Opferschalen mit ganz besonderer Kohle, deren Feuer doppelt so heiß brannte. Sie sollten das Herz von Kalisstra wärmen und sie gnädig stimmen.
Bei einem solchen Spaziergang ereignete sich gegen Ende des Winters etwas, was die Hilfsbereitschaft für die Gestrandeten stark zurückgehen ließ.
Matuc humpelte durch die Gassen, vorbei an kleineren Schreinen und Heiligtümern, an denen die Stadtbewohner ihre Gaben ablegten.
Sinnierend stand Matuc, der sich inzwischen aus Stoffresten eine Robe in gedecktem Braun hatte anfertigen lassen, in einer kaum benutzten Seitengasse vor einem Standbild der Bleichen Göttin, die Achseln auf die Krücken gestützt, die Hände in den Taschen versenkt, eine dicke Wollmütze auf dem Kopf.
Eine Frau räusperte sich hinter ihm, und unbeholfen drehte der Geistliche der Kalisstronin seinen Kopf zu.
Sie bot den üblichen Anblick der Einheimischen, nur ihre Augen schimmerten grüner als die der anderen Bewohner, als würden sie von innen angestrahlt.
Sofort erwachten bei dem schon betagteren Mann unangenehme Erinnerungen an die Fähigkeiten von Belkala, deren leuchtende Bernsteinaugen seinen Verstand zu überrumpeln gewusst hatten.
Die Frau trug einen langen weißen Ledermantel, an den Ärmeln, am Kragen und am Saum mit weißem Pelz besetzt. Um den Hals trug sie gleich vier Ketten, an denen stilisierte Eiskristalle, gefertigt aus Silber und Diamanten, hingen. Das Eis, so wusste der Ulldarter, stand für die Kalte Göttin. In ihrer Rechten hielt sie einen Gehstab, dessen oberes Ende zu einem Drittel mit einer silbernen, sorgfältig gravierten Kappe versehen worden war. Immer wieder blitzten und funkelten Edelsteine an ihr auf.
»Ich bin Kiurikka, Fremdländler«, stellte sie sich wenig höflich vor. »Du hast von mir gehört?«
Matuc hüpfte wie ein einbeiniger Rabe im Schnee herum, um sich der Sprecherin zuzuwenden. Sie beobachtete seine Bemühungen ohne Regung.
»Nicht«, keuchte er, nachdem er die Drehung geschafft hatte, ohne in das dreckige Weiß der Straße zu fallen. »Ich kennen Ihr nein. Aber das holen wir ja gerade über, nicht richtig? Und redest bitte langsam. Ich üben damit.« Er lächelte sie an, klemmte sich eine Krücke unter und streckte ihr seine Hand hin. Für mehrere Lidschläge hing sie so in der Luft, bis der Geistliche sie wieder zurückzog. »Habe ich Ihre beleidigend?« Er zeigte hinter sich. »Habe ich Kalisstra beleidigend, indem ich mein vielleicht vor ihrem Heiligstümer falsch verhalten? Wenn das so, sagen mir bitte.«
»Nein, noch haben du und das Kind die Schöpferin, die Erhalterin unseres Kontinents, nicht beleidigt«, antwortete sie nach einer Weile. »Ich bin die Hohepriesterin Kalisstras in Bardhasdronda. Ich achte darauf, dass die Kulte eingehalten werden und die Gläubigen sich rechtens verhalten, damit die Kalte Göttin ihr Herz nicht vor ihren Kindern verschließt und sie uns harte Winter sendet. Oder die Fischströme verebben lässt.« Ihre grünen Augen fixierten den
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